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Tierchen über den Wall hinunter. Da sagte der andere Knabe:
„Wie magst du doch die Eidechse quälen, die dir kein Leid getan
hat?" Der erste erwiderte: „Ich habe sie ja nicht gequält! Der
Wall ist gar nicht hoch und ist mit Moos bewachsen; da ist die
Eidechse ganz weich gefallen." Kaum hatte er das gesagt, so glitt
er aus, fiel hin und rutschte den Hang hinunter. Sein Kopf und
seine Beine schmerzten ihn sehr, und er weinte laut. Sein Kamerad
aber sagte lachend: „Warum weinst du denn? Der Wall ist doch
gar nicht hoch und ist mit Moos bewachsen; da bist du doch gewiß
ganz weich gefallen." Paul Lang.
119. Hat und Tat.
Die Mäuse kamen einst zusammen, um zu beraten, wie
sie sich vor der schlauen Katze schützen wollten. „Was fangen
wir an?“ sprach die älteste unter ihnen; „unsere Zahl wird
täglich kleiner. Bald werden wir von der Erde verschwunden
sein. Wie retten wir uns vor der Katze?“ — „Nichts ist
leichter als das,“ sprach ein kleines, altkluges Mäuschen; „ich
wüßte wohl zu helfen. Wir hängen der Katze eine Schelle an;
dann mag sie kommen. Wir haben alle ein scharfes Gehör,
und ehe sie uns erblickt, haben wir uns schnell verkrochen.“
— „Ja wohl!“ riefen alle Mäuse, setzten sich auf die Hinter¬
füße und blickten keck und mutig umher. „Nun gut,“ sprach
die alte zu der kleinen, „du hast so schön geraten; so magst
du der Katze die Schelle anhängen!“ — „Ich?“ sprach die
junge Maus; „nein, das kann ich doch nicht wagen.“ — „Und
ich auch nicht, ich auch nicht!“ riefen die andern. Schnell
lief die ganze Versammlung auseinander. Die Katze aber geht
noch ohne Schelle umher bis auf den heutigen Tag. — Raten
ist leichter als tun. Nach Äsop.
120. Das seltsame Rezept.
Es ist sonst kein großer Spaß dabei, wenn man ein Rezept in die
Apotheke tragen muß. Vor langen Jahren war es aber doch einmal ein
Spaß. Da hielt ein Landmann eines Tages mit einem Wagen und zwei