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auch der Friedrichs-Bau und der gesprengte Turm sind schön; mein Vater
zeigte mir noch besonders die vier Syenitsäulen an der Brunnenhalle, die
einst den Palast Karls des Großen in Ingelheim geschmückt haben sollen.
Sehr lustig ist das große Faß, auf dem man herumklettern kann, und der
Zwerg Perkeo hat mich, als ich einen Kasten öffnete, mit seinem Fuchs¬
schwanz ganz erschreckt. Väterchen sagte schadenfroh: „Das kommt davon,
wenn man neugierig ist!"
Wir durchwanderten die ganze Ruine und setzten uns schließlich auf
die große Terrasse, von der man eine entzückende Aussicht über die reizende
Neckarstadt und die Nheinebene hat. Gern wäre ich noch weiter zur Molken¬
kur und zum Wolfsbrunnen gegangen, wo einst der Sage nach die schöne
Zauberin Jetta von einem Wolf getötet wurde; aber wir waren zu lange
im Schloß geblieben und mußten zurück, da Väterchen mir noch all die
Orte zeigen wollte, wo er so fröhliche Jahre als Student verlebt hat. Nur
auf das Scheffeldenkmal konnten wir noch einen Blick werfen; dann ging
es schnell hinunter und zu der berühmten Universität, der ältesten des
Deutschen Reiches, die schon 1386 von Kurfürst Ruprecht gegründet wurde.
Die einzigen Gebäude, die den Brand überdauert haben, sind die Heilig¬
geistkirche und der prachtvolle Gasthof zum Ritter. Aber lustig wie einst
fließt der flinke Neckar durch die Stadt, und die Menschen sind alle so
heiter und freundlich, daß ich jetzt gut verstehe, warum mein Vater immer
so glücklich aussieht, wenn er mir von seinem lieben alten Heidelberg
erzählt.
Mannheim, 2. Juni.
Schon mehrere Tage bin ich hier und habe noch nicht in das Tage¬
buch geschrieben; aber die Zeit vergeht so schnell in Großmütterchens Haus,
daß ich keine Muße zum Schreiben hatte. Viele Leute finden Mannheim
langweilig; mir erscheint es gar nicht so, im Gegenteil: es herrscht sehr
viel Leben und Bewegung in der Stadt. Jeder hat zu arbeiten; und gar
draußen am Hafen möchte man hundert Augen haben, um alles zu sehen und
zu beobachten.
An der Mündung des Neckars in den Rhein gelegen, ist der Ort
für den Handel wie geschaffen. Das erkannte schon Kurfürst Friedrich IV.
von der Pfalz, der vor 300 Jahren Mannheim gründete. Der Dreißigjährige
Krieg zerstörte die junge Stadt wieder. Erst im 18. Jahrhundert fing sie
an, sich zu ihrer jetzigen Größe und Bedeutung zu entwickeln. Wie Karls¬
ruhe durch seine Fächerform auffällt, so ist auch das alte Mannheim in
eigentümlicher Regelmäßigkeit gebaut, Großmutter sagt: wie eine Linzer
Torte; es besteht aus lauter Quadraten; sie werden mit Buchstaben und
Nummern bezeichnet. Nicht weit von unserem Haus ist das riesige Schloß
mit dem schönen Schloßgarten, der sich am Rhein hinzieht; oft gehen wir
auf die große neue Brücke, die Mannheim mit dem bayrischen Ludwigshafen
verbindet. In der Stadt selbst erfreuen viele schönen, reichen Läden und
stattlichen Gebäude das Auge; schon zweimal besuchten wir die prächtige