Full text: Kleineres Lesebuch für Fortbildungsschulen in Stadt und Land

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Soldat wurde an den Tisch gerufen, und die Kinder warteten mit Sehn— 
sucht auf den letzten Bissen, weil sie dann die Lebensgeschichte des tötlich 
Vetletzten zu erfahren hofften. Der Invalide säumte auch nicht, ihre 
Neugierde zu stillen, und hob folgendermaßen an: 
„Der Mensch, welcher so jämmerlich zugerichtet vor eurem Hause 
vorübergetragen worden ist, würde ein wohlhabender und glücklicher 
Mann sein, wenn er in der Jugend das Sprüuͤchwort beherzigt hätte 
Mit dem Hute in der Hand 
fommt man durch das ganze Land. 
Er ist der Sohn eines Thüringer Fuhrmanns, mit dem er als 
ein Junge von 12 Jahren schon in der Welt umherzog. Man muß 
den Vater gekannt haben, um begreifen zu können, wie der Sohn zu 
seiner schändlichen Grobheit gekommen ist. Einer meiner Kameraden 
sprach einmal seinen Vater n den teueren siebziger Jahren am Thore 
or Saalfeld um ein Almosen an. Anstatt ihm etwas zu reichen oder 
ihn manierlich abzuweisen hieb ihn der Bengel mit der Peitsche über 
den Rücken, und sein Sohn (der nämliche, den ihr eben gesehen habt, 
Und den man schon damals den groben Joͤrgen nannte) lachte aus vollem 
Halse darüber. Keiner von ihnen dachte, daß sie vielleicht auch einmal 
so einen armen Teufel brauchen könnten. Ehe aber sechs Wochen ver⸗ 
ingen, erfuhren sie's. Es fiel nämlich ihr Wagen in der Gegend um 
in eine tiefe Pfütze und war zum Unstern mit Salz beladen. 
Das war ein Jammer fuͤr die beiden Burschen! Glücklicherweise kam 
Ven mein Kamerad dazu. — „Ach Gott, ach Gott!“ schrie der Fuhr⸗ 
man ihn an, „um Himmels willen, helft mir!“ — Mein Kamerad 
dachte der alten Sünde nicht mehr und sprang dem Grobian nach Mög⸗ 
lichkeit bei Nachdem er ihm aͤber wieder aus der Pfütze geholfen hatte 
und dieser ihm ein paar Groschen geben wollte, sagte mein Kamerad, 
das Geld ausschlagend: „Künftig, wenn euch wieder ein armer Mann 
um ein Almosen aänspricht, so weiset ihn nicht mehr mit Peitschenhieben 
ab, wie Ihr mir vor sechs Wochen bei Saalfeld gethan habt. Man 
weiß nicht, wer einem in der Welt dienen kann.“ — Bei diesen Worten 
ckannte erst der grobe Fuhrmann seinen Freund in der Not. Er 
schämte sich und bot ihm aufs neue ein Trinkgeld; aber mein Kamerad, 
Goun habe ihn selig! ging seines Weges und ließ ihm die ganze Be— 
scherung. — Dies wollt ich nur im Vorbeigehen erzählen, weil man 
1 dem Beispiele sieht, in welcher Schule der grobe Jörge aufgewachsen 
ist. Art läßt nicht von Art, und der Apfel fällt nicht weit vom Stamm; 
Zoͤrge aber wurde noch weit gröber und brutaler als sein Vater 
Im Anfange der achtziger Jahre starb der Alte und Jörge fing 
als ein Bursche von zwanzig und etlichen Jahren selbst an zu fuhr— 
Perken. Vor aͤllem anderen wollte er heiraten. Aber kein Mädchen im 
Dorfe konnte ihn leiden, weil er als ein grober Mensch verrufen war 
und sich seiner Grobheit so wenig schämte, daß er sich sogar in öffent⸗ 
lichen Schenken damit groß machte Seine Unhöflichkeiten und Benge— 
lelen ergählte er nicht nur, sondern vergrößerte sie sogar. Bei dem 
geringsten Anlasse sagte er Komm nur hinter mich, da kommst du 
gerade hinter den Rechten!“ — So vorleilhaft aber, als er selbst
	        
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