Full text: [Teil 1 = Sexta, [Schülerband]] (Teil 1 = Sexta, [Schülerband])

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von Sündern und Zöllnern gesetzt hat. Aber es stehet geschrieben: 
Was ihr thut einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das 
thut ihr mir. Und ich möchte gern einmal zu seiner Rechten 
stehen, wenn er so von seinem Gnadenthrone herab sprechen 
wird: Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters! denn ich bin 
hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset." 
Und während nun bei dem goldenen Ritter und der Müllerin 
ein Wort das andere gab, hängte der Sohn die Armbrust und 
die Pelzmütze des Gastes an die Stange über dem Ofen uud 
begab sich daun in die Dachkammer des Hauses zur Ruhe. Auch 
die Alte tappte sich bald darauf hinaus in das Gemach neben 
der Stube, und der Ritter that, als wollte er dem Beispiele der 
guten Leute folgen und die Ofenbank zu seinem Nachtlager er¬ 
wählen. Aber er legte sich nicht, sondern nahm, indem ihm 
der Vollmond dazu leuchtete, aus seiner Jagdtasche die Thaler, 
die ihm von dem Einkäufe in der Stadt übrig geblieben waren, 
und steckte sie uneingewickelt in den Beutel des stillstehenden 
Mahlganges. Dann verliess er so stille, als ginge er birschen, 
die gastliche Mühle, um nach Treuchtlingen zu seiner Tochter 
zurückzukehren, die schon dreimal voll Sorgen gefragt hatte: 
„Wo bleibt denn heute der Vater?" 
Der Sohn der Witwe schlief aber nur zwei oder drei Stunden 
und kam dann aus seinem luftigen Schlafgemache wieder herab, 
um den Weizen des Wirts von Detterheim zur bevorstehenden 
Kirchweih vollends zu mahlen. Und nun geschah, was der 
goldene Ritter gewollt hatte. Kaum war der Mahlgang an¬ 
gelassen, kaum fing der Kasten an zu klappern, als Thaler um 
Thaler klingend aus dem Beutel in den Vorkasten fiel. Der 
junge Müller blieb lange wie eine Bildsäule davor stehen, bis er 
endlich zulangte und die grossen, gewichtigen Münzen aus der 
Kleie in seine Mütze that, um sie seiner Mutter in die Kammer 
zu bringen. 
Und diese Thaler verwandelten sich nicht in Kohlen, wie es 
bei Teufelsmünzen der Fall sein soll, sondern ein neues Haus, 
das sich den nächsten Sommer darauf auf dem Platze des alten 
erhob, zeigte, wozu sie verwendet worden waren. — Noch ehe 
sie starb, legte die Witwe ihre Hand segnend auf das Haupt 
einer wackeren Schwiegertochter, und der Krämer aus Schwaben 
ging nie mehr des Weges, ohne einzukehren und seinen Löffel 
in die gastliche Schüssel zu tauchen oder unter dem sicheren 
Dache zu schlafen. Karl Stöber.
	        
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