Full text: Gedichtsammlung für die Klassen III - I (Gedichtsammlung, [Schülerband])

Aus dem Nibelungenlied. 
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51. „Das würde mir geziemen!" sprach Giselher der Held. 
„Doch meine Vettern halten hier mit mir das Feld: 
wenn die durch Euch erliegen, muß geschieden sein 
die wandellose Freundschaft zu dir und zu der Tochter dein." 
52 „So sei uns Gott denn gnädig!" sprach der kühne Mann. 
Da hoben sie die Schilde, als ging's draus und dran 
zum Kampf mit den Gästen in Kriemhildens Saal. 
Laut rief der Tronjer Hagen da von der Stieg' herab zuthat: 
53. „Haltet, edler Markgraf, noch eine Weile dort!" 
Also sprach da Hagen. „Wir tauschen noch ein Wort, 
ich und meine Herren; uns zwingt die bittre Not. 
Was hilft es Etzel, liegen wir im fremden Lande tot?" 
54. „Ich steh' in großer Sorge," sprach Hagen weiter. „Sieh, 
den Schild, den Frau Gotlind mir noch jüngst verlieh, 
den haben mir die Hünen zerhauen von der Hand, 
und doch als Freund ihn führt' ich her in König Etzels Land! 
55. Wollte mir's doch geben Gott vom Himmel mild, 
daß ich tragen möchte so einen guten Schild, 
wie du ihn an der Hand führst, edler Rüdeger: 
dann braucht' ich in dem Kriegssturm keiner Halsberge mehr." 
56. „Wie gern mit meinem Schilde wäre ich dir gut, 
dürft ich dir ihn bieten vor Kriemhilds Zornesmut!- 
Doch immer nimm ihn, Hagen, und trag ihn an der Hand. 
Dürftest du ihn führen heim in der Burgunden Land!" 
57. Als der Held so willig den Schildrand ihm bot, 
da ward manches Auge von heißen Thränen rot. 
Es war die letzte Gabe: von nun ab keinem mehr 
bot sie einem Degen von Bechlaren Rüdeger. 
58. Wie wildes Zorns auch Hagen und von grimmem Mut, 
die Gabe dennoch rührt' ihn, die so treu und gut 
ihm Rüdeger verliehen, der letzten Stunde nah. 
Manchen edlen Ritter man da mit ihm trauern sah. 
59. „So lohn' Euch Gott vom Himmel, edler Rüdeger! 
Euresgleichen giebt es nicht auf Erden mehr, 
der heimatlose Recken so überreich begabt. 
Gott geb's Euch, Tugendreicher, daß immer Ihr das Leben habt! 
60. Rüdeger, der Gabe lohne ich Euch nun. 
Was diese edlen Recken auch immer an Euch thun, 
nie gegen Euch erhebt sich zum Streite meine Hand, 
und ob Ihr alle schlüget, die Helden von Burgundenland." 
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