Full text: Für die Oberstufe (Teil 3, [Schülerband])

A. Geschichte. 
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öer Kaufmann sein Geschäft, um zur Wehre zu greifen. Der Unterschied 
der Stände schien vergessen; denn in den Reihen der Freiwilligen stand der 
Prinz neben dem Bürgerssohne der Städte; die Selbstsucht schwieg, es gab 
nur ein Gefühl, einen Willen. Niemand wollte von der allgemeinen Be¬ 
wegung zurückbleiben. Jünglinge unter 16 Jahren, Männer über 50 Jahren 
stellten sich zur Verfügung. Der Familienvater verließ Weib und Kind, 
Pater und Mutter; Bräute und Verwandte waren stolz daraus, ihre Söhne 
und Angehörigen im heiligen Kampfe zu wissen. Viele überschätzten ihre 
Kräfte, mußten zurückgewiesen werden und trauerten, nicht mitstreiten zu 
tonnen. Nicht minder zeigte sich das weibliche Geschlecht der großen Sache 
würdig. Von der Zeitströmung ergriffen, wurden manche über ihren Berufs¬ 
kreis hinausgeführt und kämpften in dem Freiheitskriege mit. Jeder Ort 
wurde zur kriegerischen Werkstatt, das ganze Land zum Kriegslager. Was 
die freien Staaten des Altertums, was Rom und Sparta an Vaterlands¬ 
tiebe aufzuweisen haben, es übertrifft nicht das erhabene Gefühl, welches 
Preußen jetzt entflammte. Die Flammen dieser Begeisterung wuchsen höher 
und höher und stiegen auf zu einer Riesenlohe, daß ganz Europa sich daran 
erwärmte. Immer von neuem klang der laute Ruf durch das Land: „Das 
Paterland ist in Gefahr." 
Daß in Preußen jeder nur kampffähige Mann mit Begeisterung zu den 
Waffen griff, ist nur die eine Seite der großen Leistung; die andere eben 
so große war, daß jeder willig Hab und Gut opferte, um so große Heeres - 
wassen auszurüsten und zu ernähren, und daß alles Tun und Treiben nur 
auf diesen großen Zweck gerichtet war. 
Es ist rührend, was alles hergegeben wurde. Das Heiligste, was man 
besonders hochhält, was uns sonst unschätzbar ist, wurde freudig zum Opfer 
gebracht. Man gab, was irgend möglich war. Staatsdiener, viele im Heere 
dienende Ossiziere gaben den vierten, selbst den dritten Teil ihres Gehaltes, 
verabschiedete Beamte und Offiziere einen Teil ihrer Pension, einige die 
Hälfte, einige diese sogar ganz. Andere liehen dem Staate ein kleines er¬ 
spartes Kapital ohne Zinsen während der Kriegsperiode. Viele besoldeten 
eine Anzahl Freiwilliger im Felde. Mancher einzelne schenkte mehrere Tausende 
von Talern. Auch die Frauen blieben nicht zurück. Neun Prinzessinnen, 
an der Spitze die hochherzige Prinzessin Wilhelm von Preußen, Marianne 
geborene Prinzessin von Hessen-Homburg, gründeten einen Frauenverein 
Zum Wohle des Vaterlandes und erließen einen Aufruf an die Frauen 
im preußischen Staate. Sogleich gab auch das weibliche Geschlecht alles 
her, worauf es doch sonst hohen Wert legt, jede Art von Schmuck, jedes 
Kleinod, jedes Ersparte. Witwen gaben einen Teil ihrer dürftigen Pension 
her, die Ärmste doch noch irgend etwas, die meisten ihre Arbeitskräfte. Ein 
glänzendes Beispiel gab in Breslau ein junges Mädchen, das ganz arm, 
aber im Besitz eines schönen, reichen Haares war, welches man ihm oft ver¬ 
gebens halte abkaufen wollen. Es opferte dasselbe, um das gelöste Geld 
ben Freiwilligen zukommen zu lassen. Dieser edle Zweck wurde vollkommen 
erreicht. Denn die schöne Tat blieb nicht verschwiegen: viele wünschten, die 
Erinnerung daran bleibend zu machen, und es fand dankbare Anerkennung, 
als jemand das verkaufte Haar wieder kaufte und daraus allerlei Zieraten, 
Ringe, Ketten u. s. w. anfertigen ließ, nach denen das Verlangen so groß
	        
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