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Heinrich Seidel.
Ja, in'Rosen steht die Wett;
Aber ahnungsbang
Rauschet durch das Ährenseld
Schon ein fremder Klang:
Bald ertönt der Erntereigen,
And die Rose wird sich neigen,
And die Vögel werden schweigen!
Ach, wie bald, dann liegst du weit —
O du schöne Rosenzeit!
169. Die Drossel.
Wenn in den Wipfeln Drosseln schlagen.
Die Bäche rauschen durch den Grund,
Da wird an sanften Frühlingstagen
Manch liebliches Geheimnis kund.
Wo hat der Strauch das Grün genommen?
Roch gestern fand man keine Spur.
Wo sind die Blüten hergekommen
Auf der noch jüngst so öden Flur?
Die Drossel ruft, die Knospen springen.
Die Lust ist blau, die Welt so weit!
Der Seele wachsen neue Schwingen
In dieser ahnungsreichen Zeit.
Die hold verheißungsvollen Lieder,
Wie hab' ich sie so oft gehört!
Die alte Kunde ist es wieder,
Die immer noch mein Lerz betört.
170. Leichter Sinn.
Die Blumen wiegen und nicken
Im schlafenden Garten all,
Als ob sie träumend lauschten
Dem Lied der Nachtigall.
Sie fingt die alte Klage:
„Ihr müßt verblühn, verwehn!"
Die Blumen nicken im Traume,
Weil sie es wohl verstehn.