Full text: Deutsche Gedichte für die Mittel- und Oberstufe höherer Mädchenschulen

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Ernst v. Wildenbruch. 
Lrnst v. Wildenbruch. 
Geb. 1845. 
194. Kaiser Heinrich. 
Die Rheines-Adler mit lastendem Flug, 
Sie zogen den schwebenden Kreis, 
Als Leinrich kam auf Schloß Äammerstein, 
Kaiser Leinrich, ein flüchtender Greis. 
Der Abendsonne verscheidende Glut 
Lag zitternd auf Tälern und Äöh'n, 
Kaiser Heinrich sah in den strömenden Rhein: 
„O Deutschland, wie bist du so schön! 
Ihr Berge mit rebendurchglühter Brust, 
Du herdenbewandelte Trift, 
Ihr steht mir geschrieben tief in das Herz 
Wie eine heilige Schrift. 
Wie ein rauschendes Buch voll Märe und Lehr', 
Deutschland, so liegst du vor mir; 
Deine Kaiser machten zum Griffel das Schwert 
And schrieben den Inhalt dir. 
And wenn er zu Ende sein Tagewerk schrieb, 
Tat jeder den Griffel zur Ruh 
And gab das Buch in des Nächsten Land, 
Sprach: ,Lies und schreibe nun du/ 
Doch als mir der Vater das Buch übergab, 
War kindisch und schwach meine Land, 
Es nahmens die Andren und lasen mir draus, 
Was nicht in dem Buche stand. 
And als in dem Buch ich zu schreiben begehrt, 
Da kamen die Tage des Fluch's, 
Es hob sich von Mittag und Abend der Sturm 
And griff in die Seiten des Buch's. 
Er warf sie herauf, er warf sie herab, 
Er warf sie die Kreuz und die Quer, 
Mein Auge ward trübe vom wirbelnden Staub, 
And das Schreiben ward schwer, ward schwer. 
So ist meine Schrift nun verworren, verzerrt, 
Daß niemand sie lesen kann, 
Sie schütteln die Häupter und nennen mich heut 
Einen alten, verworrenen Mann.
	        
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