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95 B. Lyrisch epische Poesie. VI. Erzählungen, Balladen, Romanzen.
„Da verstummt der Erde Satzung, wo der Himmel Zeichen sendet.
22. Ferne fei’», wen Gott begnadigt, daß wir dessen Blut begehren —
Geh und wider Christi Feinde kämpf auf unsern Kriegsgaleeren;
23. Und zu Schiffe ging der Knabe, ward ein Held im Schlachtenlärme;
Doch noch heute bei San Marco nisten jene Taubenschwärme.
45. Junker Nechberger. Um 1480 n. Chr. (1811-1
Bon Ludwig Uhland. Gedichte. Stuttgart und Tübingen, 1863.
1.. Rechberger war ein Junker keck,
Der Kaufleut’ und der Wanderer Schreck.
In einer Kirche verlassen,
Da thät er die Nacht verpaffen.
2. Und als es war nach Mitternacht,
Da hat er sich auf den Fang gemacht;
Ein Kaufzug, hat er vernommen,
Wird frühe vorüberkommen.
3. Sie waren geritten ein kleines Stück,
Da sprach er: „Reitknecht, reite zurück!
Die Handschuh’ hab’ ich vergessen
Auf der Bahre, da ich gesessen."
4. Der Reitknecht kam zurück so bleich:
„Die Handschuh' hole der Teufel Euch!
Es sitzt ein Geist auf der Bahre;
Es starren mir noch die Haare.
5. Er hat die Handschuh’ angethan
Und schaut sie mit feurigen Augen an,
Er streicht sie wohl auf und nieder;
Es beben mir noch die Glieder."
6. Da ritt der Junker zurück im Flug,
Er mit dem Geiste sich tapfer schlug;
Er bat den Geist bezwungen,
Seine Handschuh’ wieder errungen.
7. Da sprach der Geist mit wilder Gier:
„Und läßt du sie nicht zu eigen mir,
So leihe mir auf ein Jährlein
Das schmucke, schmeidige Pärlein!" —
<8. „Ein Jährlein ich sie dir gerne leih’,
So kann ich erproben des Teufels Treu’;
Sie werden wohl nicht zerplatzen
An deinen dürren Tatzen."
9. Rechberger sprengte von dannen stolz,
Er streifte mit seinem Knecht im Holz.
Der Hahn hat ferne gerufen,
Da hören sie Pferdehufen.
10. Dem Junker hoch das Herze schlug,
Des Weges kam ein schwarzer Zug
Vermummter Rittersleute;
Der Junker wich auf die Seite.
1!. Und hinten trabt noch Einer daher,
Ein ledig Räpplein führet er.
Mit Sattel und Zeug staffieret,
Mit schwarzer Decke gezieret.
12. Rechberger ritt heran und frug:
„Sag an! Wer sind die Herren vom
Zug?
Sag an, traut lieber Knappe!
Wem gehört der ledige Rappe!" —
13. „Dem treuesten Diener meines Herrn,
Rechberger nennt man ihn nah und fern.
Ein Jährlein, so ist er erschlagen,
Dann wird das Räpplein ihn tragen."
14. Der Schwarze ritt den Andern
nach,
Der Junker zu seinem Knechte sprach:
„Weh mir! Vom Roß ich steige,
Es geht mit mir zur Neige.
15. Ist dir mein Rößlein nicht zu wild
Und nicht zu schwer mein Degen und
Schild:
Nimm’s hin dir zum Gewinnste
Und brauch’ es in Gottes Dienste!
16. Rechberger in ein Kloster ging:
„Herr Abt, ich bin zum Mönche zu ring,
Doch möcht’ ich in tiefer Reue
Dem Kloster dienen als Laie." —
17. „Du bist gewesen ein Reitersmann,
Ich seh’ e§ dir an den Sporen an,
So magst du der Pferde walten,
Die an Klosterstalle wir halten."
18. Am Tag, da selbiges Jahr sich
schloß,
Da kaufte der Abt ein schwarz wild Roß,
Rechberger sollt’ es zäumen,
Doch es thät sich stellen und bäumen.
19. Es schlug den Junker mitten aufs
Herz,
Daß er sank in bitterem Todesschmerz.
Es ist im Walde verschwunden;
Man hat’s nicht wieder gefunden.
20. Um Mitternacht an Junkers Grab^
Da stieg ein schwarzer Reitknecht ab,
Einem Rappen hält er die Stangen,