Full text: Für Tertia (Abtheilung 1, [Schülerband])

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Schiller: Tell der Schütz und sein Knabe. (Aus „Wilhelm Tell.") 
255 Geßler. Ich will dein Leben nicht, ich will den Schuß. 
— Du kannst ja Alles, Tell, an nichts verzagst du; 
Das Steuerruder führst du wie den Bogen! 
Dich schreckt kein Sturm, wenn es zu retten gilt; 
Jetzt, Retter, hilf dir selbst — du rettest Alle! 
steht in fürchterlichem Kamps, mit den Händen, zuckend und die rollenden Augen bald aus den Landvogt. 
old zum Himmel gerichtet. — Plötzlich greift er in seinen Köcher, nimmt einen zweiten Pseil heraus und steckt 
ihn in seinen Koller. Der Landvogt bemerkt alle diese Bewegungen.) 
260 Walther Tell (unter der Linde) Vater, schieß zu! Ich fürcht' mich nicht. 
Tell. Es MUß! (Er rafft sich zusammen und legt anj 
Rudenz (der die ganze Zeit über in der heftigsten Spannung gestanden und mit Gewalt an sich 
gehalten, tritt hervor). Herr Landvogt, weiter werdet Jhr's nicht treiben, 
Ihr werdet nicht — es war nur eine Prüfung — 
Den Zweck habt Ihr erreicht — zu weit getrieben 
Verfehlt die Strenge ihres weisen Zwecks, 
265 Und allzu straff gespannt zerspringt der Bogen. 
Geßler. Ihr schweigt, bis man Euch aufruft! 
Rudenz. Ich will reden; 
Ich darf's; des Königs Ehre ist mir heilig; 
Doch solches Regiment muß Haß erwerben. 
Das ist des Königs Wille nicht — ich darf's 
270 Behaupten — Solche Grausamkeit verdient 
Atem Volk nicht; dazu habt Ihr keine Vollmacht. 
Geßler. Ha, Ihr erkühnt Euch! 
Rudenz. Ich hab' still geschwiegen 
Zu allen schweren Thaten, die ich sah; 
Mein sehend Auge hab' ich zugeschlossen, 
275 Mein überschwellend und empörtes Herz 
Hab' ich hinabgedrückt in meinen Busen. 
Doch länger Schweigen wär' Verrath zugleich 
An meinem Vaterland und an dem Kaiser. 
Bertha (wirft sich zwischen ihn und den Landvogt). 
O Gott, Ihr reizt den Wüthenden noch mehr. 
280 Rudenz. Atem Volk verließ ich, meinen Blutsverwandten 
Entsagt' ich, alle Bande der Natur 
Zerriß ich, um an Euch mich anzuschließen — 
Das Beste Aller glaubt' ich zu befördern, 
Da ich des Kaisers Macht befestigte — 
285 Die Binde fällt von meinen Augen — schaudernd 
Seh' ich an einen Abgrund mich geführt — 
Atem freies Urtheil habt Ihr irr' geleitet, 
Mein redlich Herz verführt — ich war daran, 
Atem Volk in bester Meinung zu verderben. 
290 Geßler. Verwegner, diese Sprache deinem Herrn? 
Rudenz. Der Kaiser ist mein Herr, nicht Ihr — frei bin ich 
Wie Ihr geboren, und ich messe mich 
Mit Euch in jeder ritterlichen Tugend. 
Und ständet Ihr nicht hier in Kaisers Namen, 
295 Den ich verehre, selbst wo man ihn schändet, 
Den Handschuh wärf' ich vor Euch hin, Ihr solltet
	        
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