Full text: Für Tertia (Abtheilung 1, [Schülerband])

Simrock: Aus dem Nibelungenliede. 
8. Siegfried, der Herre, führte die Tarnkappe mit, 
Die der kühne Degen mit Sorgen einst erstritt 
Von dem starken Zwerge mit Namen Alberich; 
Da schickten sich znr Reise Recken kühn und ritterlich. 
9. Die goldfarbnen Schilde trug man an den Strand 
Und brachte zu dem Schiffe all ihr Rüstgewand; 
Ihre Rosse ließ man bringen; sie wollten nun hindann. 
Alsbald von schönen Frauen großes Weinen begann. 
10. Da stand in den Fenstern manch minnigliches Kind; 
Das Schiff mit seinem Segel ergriff ein hoher Wind. 
Die stolzen Heergesellen saßen auf dem Rhein; 
Da sprach König Günther: „Wer soll nun Schiffmeister sein?" 
11. Eine Ruderstange Siegfried bald gewann; 
Vom Gestad' zu schieben hub er kräftig an. 
Günther, der Kühne, ein Ruder selber nahm. 
Da hoben sich vom Lande die schnellen Ritter lobesam. 
12. Sie führten reiche Speise, dazu guten Wein, 
Den besten, den sie finden mochten um den Rhein. 
Die Rosse standen eben; sie hatten gute Ruh'. 
Das Schifflein auch ging eben; wenig Leid stieß ihnen zu. 
13. An dem zwölften Morgen, wie wir hören sagen, 
Da hatten sie die Winde weit hinweggetragen 
Nach Jsenstein, der Feste, in Brunhildens Land; 
Das war der Degen keinem als Siegfrieden nur bekannt. 
14. Sechsundachtzig Thürme sahn sie darin zumal, 
Drei weite Pfalzen und einen schönen Saal 
Von edlem Marmelsteine, so grün als wie das GraS, 
Darin Brunhilde selber mit ihrem Ingesinde saß. 
15. Die Burg war erschlossen, weithin aufgethan; 
Entgegen liefen ihnen die in Brunhilds Bann, 
Die Gäste zu empfangen in ihrer Herrin Land. 
Die Rosse nahm man ihnen und die Schilde von der Hand. 
16. Als die Königstochter Siegfrieden sah, 
Wohlgezogen sprach sie zu dem Gaste da: 
„Willkommen seid, Herr Siegfried, hier in diesem Land! 
Was meinet eure Reise? Das macht mir, bitt' ich, bekannt!" 
17. Er sprach: „Hier ist Günther, ein König reich und hehr; 
Erwürb' er deine Minne, nichts weiter wünscht' er mehr. 
Mit ihm bin ich gefahren in dieses Land um dich; 
Wenn er mein Herr nicht wäre, so ließ' ich es sicherlich." 
18. Sie sprach: „Ist er dein Herre, siehst du in seinem Lehn, 
Kann er, die ich ertheile, meine Spiele dann bestehn 
Und bleibt darin der Meister, so werd' ich sein Weib; 
Gewinn' ich aber eines, es geht euch Allen an den Leib. 
19. Den Stein soll er werfen und springen darnach, 
Den Speer mit mir schießen; drum sei euch nicht zu jach! 
Ihr könnt hier leicht verlieren die Ehr' und auch den Leib; 
Das geb' ich zu bedenken!" sprach das minnigliche Weib. 
20. Siegfried, der Schnelle, ging vor den König hin 
Und bat ihn frei zu reden mit der Königin
	        
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