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A. Rein epische Poesie, l. Heroisches Epos.
Ganz nach seinem Willen; angstlos sollt' er sein:
„Ich will dich wohl beschützen vor ihr mit den Listen mein."
21. Da sprach der König Günther: „Königstochter hehr,
Ertheilt mir, was Ihr wollet, und wär' es noch viel mehr,
Das bestand' ich Alles nm Euern schönen Leib;
Mein Haupt will ich verlieren, so Ihr nicht werdet mein Weib."
22. Als da'seine Rede vernahm die Königin,
Bat sie, wie ihr geziemte, das Spiel nicht zu verziehn.
Sie ließ sich zum Streite bringen ihr Gewand,
Einen goldnen Panzer und einen guten Schildesrand.
23. Verweile war auch Siegfried, der weidliche Mann,
An das Schiff gegangen, eh' wer darüber sann.
Wo er die Tarnkappe verborgen liegen fand,
In die er hurtig schlüpfte; da war er Niemand bekannt.
24. Er eilte bald zurücke; da sah er Recken viel,
Es ordnete die Königin allda ihr hohes Spiel.
Er ging hinzu verstohlen und daß ihn Niemand sah
Von Allen, die da waren; gar listiglich das geschah.
25. Da brachte man der Frauen, schwer und übergroß,
Einen scharfen Wurfspieß, den sie stets verschoß,
Stark und ungefüge, mächtig und breit zumal;
Der hatt' an seinen Seiten zwei Schneiden von scharfem Stahl.
26. Brunhildens Stärke zeigte sich nicht klein;
Man trug ihr zu dem Kreise einen schweren Stein,
Groß und ungefüge, rund und stark und breit,
Ihn trugen kaum zwölfe dieser Degen kühn im Streit.
27. An ihre weißen Arme sie die Ermel wand,
Sie begann zu fassen den Schild mit der Hand,
Sie schwang den Spieß zur Höhe; da ging es an den Streit,
Die fremden Gäste bangten vor Brunhildens Zorn und Neid.
28. Und wär' ihm da Siegfried zu Hülfe nicht gekommen,
So hätte sie das Leben Günthern wohl benomrnen.
Er nahte sich verstohlen und rührte seine Hand;
Günther seine Künste mit großen Sorgrn befand.
29. Er sprach: „Gieb aus den Händen den Schild, laß mich ihn tragen!
Behalte wohl im Sinne, was du mich hörest sagen:
Du habe die Geberde; ich will das Spiel bestehn."
Als er ihn erkannte, da war ihm Liebes geschehn.
30. Da schoß mit großen Kräften die herrliche Maid
Auf einen neuen Schildrand, mächtig und breit;
Den trug an seiner Linken der Siegelinde Kind,
Das Feuer sprang vom Stahle, als ob es wehte der Wind.
31. Des starken Spießes Schneide den ganzen Schild durchdrang,
Daß das Feuer lohend aus den Ringen sprang.
Von dem Schusse strauchelten die kraftvollen Degen;
War nicht die Tarnkappe, sie wären beide todt erlegen.
32. Siegfried, dem Kühnen, vom Munde brach das Blut.
Er erholte bald sich wieder. Da nahm der Degen gut
Den Speer, den sie geschossen ihm hatte durch den Rand;
Den warf ihr bald zurücke des starken Siegfriedes Hand.