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B. Lyrisch epische Poesie. IV. Romantisches EpoS.
Springt auf Roland, ihn ergreifend,
Beugt ihn nieder auf den Grund.
Da sieht Roland keine Rettung.
„Hilf, o Jesu, mir!" er ruft.
155 Doch er biegt sich, zieht behende
Jenes Dolch aus seinem Gurt,
Stieß den in des Riesen Nabel,
Daß in Strömen quillt das Blut.
Sterbend nun der grimme Riese
160 Schreit und seinem Gotte flucht.
Eilend auf den Schrei die Heiden
Stürzen aus der hohen Burg.
Roland war schon bei den Seinen,
Heimgekehrt, in sicherer Hut.
165 Und die Schar der Sarazenen
Klagend nun den Leichnam trug
Auf die Burg des grimmen Riesen,
Der genannt war Ferracut.
d. Rolands Todtenfeier. 778 n. Chr.
Fackeln irrten, Feuer brannten
In dem Walde um den Todten;
Weiße Zelte in dem Grünen
All der Leid- und Kriegsgenossen.
5 Balsam, Aloe und Myrrhe
Muß die heil'gen Dienste zollen,
Um den Leichnam zu erhalten,
Bis er zu der Heimat komme..
Klaggesänge und Gebete
10 Steigen feierlichen Tones
Durch die Nacht in dunkler Stunde
Bis zu Gottes hohem Throne.
Und nun ward ein Suchen, Tragen,
Als der Gottesdienst vollzogen
15 Bei des Frühroths Morgenscheine.
Jeder für die Seinen sorget.
Ein'ge führen sie auf Bahren,
Aus des Waldes Grün geflochten,
Tragend Andre auf den Schultern,
20 Sorgsam Andre auf den Rossen,
Hier den Leichnam balsamierend,
Dort in neue Klag' ergossen;
Doch des sel'gen Roland Leiche
Trägt auf Teppichen von Golde,
25 Eingehüllt im Fürstenmantel,
Dort ein Maulthierpaar, erhoben,
Schmuckvoll, in des Zuges Mitte.
Bis nach Blavas hohem Schlosse
Hieß ihn Kaiser Karol tragen,
30 Dort zu Sanct Romanus Dome,
Den er selber hat gestiftet
Und zum stolzen Bau erhoben.
Da ward ehrenvoll die Leiche
Mit dem elfenbeinern Hörne
35 Zu den Füßen und dem Schwerte
Oben an dem Haupt des Todten
In die tiefe Gruft gesenket
Bei dem Klang der Trauerglocken.
Selig wohl sind Blavas Mauern,
40 Welche Stadt in ihrem Schooße
Hat so hohen Gast empfangen,
Trost dadurch und Schutz gewonnen.
Da um Roland nun die Klage
Nach vollbrachtem Seelenopfer,
45 Nach vollbrachtem Todtendienste
Wieder sich erheben wollte,
Sprach der gottgeweihte Bischof
Laut die trostesreichen Worte:
„O wie sollte, Klag' anstimmend,
50 Uns um den zu weinen ziemen.
Welcher selig im Bezirke
Wohnet schon des Paradieses?
Glänzend wohl und ruhmgezieret
War er, als er wallt' hienieden;
55 Doch noch Heller jetzo schimmert
Hoch er über den Gestirnen.
Denn in seines Herzens Tiefe
War ja Gottes Wort geschrieben;
Heiter war er, fromm und bieder,
60 Allen er ein Vater schiene.
War der Ehre Licht und Gipfel
Und des Ritterthnmes Zierde.
Drum so wendet nicht die Blicke
Zu dem Sarge, wo mit Nichten
65 Ihr noch könnt den Edeln finden,
Der jetzt schon hinaufgestiegen
Ist zu jener Burg des Himmels."
Also lauten jenes frommen
Bischofs Worte, voll des Trostes.