Full text: [Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband]] (Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband])

Aufr. d. Königs Friede. Wilhelm llI. — Arndt: Preussens Erhebung i. 1.1813. 171 
schuldigen; ja selbst Jungfrauen — unter mancherlei Vorstellungen und 
Verlarvungen — drängten sich zu den Waffen; alle wollten sich üben, 
rüsten und für das Vaterland streiten und sterben. Preußen mar wieder 
das Sparta geworden, als das seine Dichter es einst besangen; jede 
Stadt, jeder Flecken, jedes Dorf schallte von Kriegslust und Kriegs¬ 
musik und war in einen Übungs- und Waffenplatz verwandelt; jede Feuer¬ 
esse ward eine Waffenschmiede. Das war das schönste bei diesem heiligen 
Eifer und fröhlichen Gewimmel, daß alle Unterschiede von Ständen und 
Klassen, von Altern und Stufen vergessen und aufgehoben waren, daß jeder 
sich demütigte unb hingab zu dem Geschäft und Dienst, wo er der Brauch¬ 
barste war, daß das eine große Gefühl des Vaterlandes und seiner 
Freiheit und Ehre alle anderen Gefühle verschlang, alle anderen sonst 
erlaubten Riicksichten und löblichen Verhältnisse aufhob. Die Menschen 
fühlten es, sie waren gleich geworden durch das lange Unglück, sie 
wollten auch gleich sein im Dienst und im Gehorsam. Und so sehr er¬ 
hob die große Pflicht und das gemeinsame Streben, wovon sie beseelt 
waren, alle Herzen, daß das Niedrige, Gemeine und Wilde, dem in ge¬ 
tümmelvollen Zeiten der Bewaffnungen und Kriege eine so weite Bahn 
geöffnet ist, nicht aufkommen konnte. Die heilige Begeisterung dieser 
unvergeßlichen Tage ist durch keine Ausschweifung und Wildheit ent¬ 
weiht worden; es war, als fühlte auch der Kleinste, daß er ein Spiegel 
der Sittlichkeit, Bescheidenheit und Rechtlichkeit sein müsse, wenn er den 
Übermut, die Unzucht und Prahlerei besiegen wollte, die er an den 
Franzosen so sehr verabscheut hatte. Was die Männer so unmittelbar 
unter den Waffen und für die Waffen taten, das tat das zartere Ge¬ 
schlecht der Frauen durch stille Gebete, brünstige Ermahnungen, fromme 
Arbeiten, menschliche Sorgen und Mühen für die Ausziehenden, Kranken 
und Verwundeten. Wer kann die unzähligen Opfer und Gaben dieses 
großen Sommers zählen, die zum Teil unter den rührendsten Umständen 
dargebracht sind? Wer kann die dem Vaterlande ewig teuren Namen 
der Frauen und Jungfrauen aufrechnen, die in einzelnen Wohnungen 
oder in Krankenhäusern die Nackenden gekleidet, die Hungrigen gespeist, 
die Kranken gepflegt und die Verwundeten verbunden haben? So ge¬ 
schah es von einem Ende des Reichs bis zum andern; doch gebührte 
Berlin der Vorrang; es hat bewiesen, daß es verdient, der Sitz seiner 
Herrscher zu sein. Freue dich deiner Ehren, wackere Stadt! Die alten 
Sünden sind versöhnt, die alten Unbilden vergessen, Ruhm und Glück 
werden wieder ihren Wohnsitz bei dir aufschlagen. Ich sage nur das 
eine: es mar plötzlich wie durch ein Wunder Gottes ein großes und 
würdiges Volk erstanden. Krieg wollten alle, Gefahr und Tod wollten 
sie, den Frieden fürchteten sie, weil sie von Napoleon keinen ehrenvollen 
und preußischen Frieden hoffen konnten. „Krieg, Krieg!" schallte es
	        
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