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IV. Geschichtliches und Kulturgeschichtliches.
unpraktischen Deutschen zu lesen. Jetzt waren es wutentbrannte Artikel
über die eroberungssüchtigen, die kriegslustigen, ja die blutdürstigen
Deutschen! Ich muß gestehen, daß mir dies keinen Verdruß, sondern
große Freude bereitete. Meine Selbstachtung als Deutscher stieg bei
jedem dieser Ausdrücke bedeutend. So lange waren die Deutschen nur
passives Material für die Weltgeschichte gewesen; jetzt konnte man zum
erstell Male schwarz auf weiß in der Tünes lesen, daß sie selbsttätig in
den Lauf der Geschichte eingriffen und dadurch den Zorn derer erregten,
die sich bisher für allein dazu berechtigt gehalten hatten.
Im Verkehr mit Engländern und Franzosen hatte ich während
unserer Kabellegungen vielfach schmerzliche Gelegenheit gehabt, mich
davon zu überzeugen, in wie geringer Achtung die Deutschen als Nation
bei den anderen Völkern standen. Ich hatte lange politische Debatten
mit ihnen, die immer darauf hinauskamen, daß man den Deutschen das
Recht und die Fähigkeit absprach, einen uilabhängigen, einigen National¬
staat zu bilden. „Nun, was wollen die Deutschen denn eigentlich?"
fragte mich nach einer längern Unterhaltung über die seit dem französisch¬
österreichischen Kriege wieder lebendiger gewordenen nationalen Be¬
strebungen in Deutschland der uns begleitende Generaldirektor der
französischen Telegraphen» der als ehemaliger Verbannungsgenosse des
Kaisers Napoleon in Frankreich hochangesehene M. de Vougie. — „Ein
einiges Deutsches Reich," war meine Antwort. „Und glauben Sie,"
entgegnete er, „daß Frankreich es dulden würde, daß sich an seiner
Grenze ein ihm an Volkszahl überlegener, einheitlicher Staat bildete?" —
„Nein," war meine Antwort, „wir sind überzeugt, daß wir unsere Ein¬
heit gegen Frankreich werden verteidigen müssen." „Welche Idee," sagte
er, „daß Deutschland einig gegen uns kämpfen würde. Bayern, Württem¬
berg, ganz Süddeutschland werden mit uns gegen Preußen kämpfen."
„Diesmal nicht," antwortete ich, „der erste französische Kanonenschuß
wird Deutschland einig machen; darum fürchten wir den französischen
Angriff nicht, sondern erwarten ihn guten Mutes." M. de Vougie hörte
das kopfschüttelnd an; es schien ihm doch der Gedanke aufzudämmern,
daß die Pandorabüchse der Nationalitätenfragen, die sein Gebieter im
Kriege mit Österreich für Italien geöffnet hatte, schließlich Frankreich
selbst Unglück bringen könnte.
Wie ich später, als die Frage der Annexion Lauenburgs durch
Preußen die Gemüter beschäftigte, mich bei dem Generaldirektor in
Paris anmelden ließ, rief er mir in Erinnerung an unsere politischen
Gespräche schon von weitem entgegen: „Eh bien, Monsieur, vous
voulez manger le Lauenbourg?“ — „Oui, Monsieur,“ rief ich zurück,
„et j'espère que l'appétit viendra en mangeant!“ Er ist in der
Tat stark gewachsen, dieser Appetit, und auch befriedigt, imb an meine