Full text: [Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband]] (Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband])

Aus den Aufzeichnungen Kaiser Wilhelms I. 
213 
IV. 
Berlin, den 31. Dezember 1878, halb elf Uhr abends: 
Es gehet ein Jahr zu Ende, welches für mich ein verhängnisvolles 
sein sollte! Ereignisse von erschütternder Art trafen mich am 1t. Mai und 
2. Juni; die körperlichen Leiden traten zurück gegen den Schmerz, daß 
preußische Landeskinder eine Tat vollbrachten, die am Schluß meiner 
Lebenstage doppelt schwer zu überwinden war, die mein Herz und Gemüt 
für den Rest der Tage finster erscheinen ließ; doch muß ich mich ergeben in 
den Willen Gottes, der dies alles zuließ, aber zugleich seine Gnade und 
Barmherzigkeit walten ließ, da Er mir nicht nur das Leben erhielt, 
sondern mich in einer Weise gesunden ließ, die mich zu meinen Berufs¬ 
geschäften wieder fähig machte. So preise ich Gott für diese Seine 
Führung, in der ich zugleich eine Mahnung erkenne, mich zu prüfen, ehe 
ich vor dem Richterstuhl des Allmächtigen erscheinen soll. Daher erkenne 
ich in den so sichtbar gewordenen Ereignissen eine gnadenvolle Führung 
Gottes, die zum Guten führen soll, wie alles, was von Ihm in Leid 
und Freude uns trifft. Darum preise ich die Vorsehung für die schmerzens- 
vollen Ereignisse des ablaufenden Jahres. Sie haben mir aber auch Er¬ 
hebendes gebracht durch die Teilnahme, welche mir von allen Seiten zu 
teil wurde. Zunächst findet hier meine Gemahlin meinen heißen Dank 
für ihre Liebe und Teilnahme, die sie mir, selbst leidend, schenkte, dem¬ 
nächst meine Tochter, die mit kindlicher Liebe mich pflegte und mir so 
wohl tat. Alle Familienglieder nah und fern finden hier meinen liebe¬ 
vollen Dank für alles, was sie mir Teilnehmendes in der Schmerzenszeit 
bewiesen. Allen denen, die in so überraschender Weise meiner gedachten, 
gebührt hier mein inniger Dank. Und woher kam diese Teilnahme? 
Von wo anders als vom Allmächtigen, dessen Führung es wollte, daß 
ich in der Welt so gestellt ward, daß Seine Gnade sich jedermann ein¬ 
prägte, die über mir waltete? Und in dieser Wallung erkenne ich wiederum 
Seine Liebe und Barmherzigkeit, daß Er mich ausrüstete. Seinen Willen 
hier auf Erden zu vollführen, und Er mich und mein Volk würdig fand, 
das übertragene Pfund zu verwalten. Also wiederum nur Gottes Gnade 
preise ich in allem, was mir von Menschen in der Leidenszeit Gutes zu 
teil ward. Aber nicht bloß in dieser Leidenszeit zeigte sich diese Teil¬ 
nahme, sondern jederzeit habe ich dieselbe in einem Maße empfangen, 
die weit über das Verdienst ging, mit dem ich jenes Pfund verwalten 
konnte. Die Menschen haben meine Schwächen und Fehler übersehen 
wollen; aber Der, welcher sie kennt, wolle mir dereinst ein barmherziger 
Richter sein, wo ich die Lehren und Weisungen des eingeborenen Sohnes 
des Himmlischen Vaters nicht achtete! Herr, Dein Wille geschehe im 
Himmel also auch auf Erden. Im Glauben ist die Hoffnung und die 
himmlische Liebe der Weg dahin. Amen! Wilbelm.
	        
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