Full text: [Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband]] (Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband])

Goethe: Das Rheingau. — Hansjakob: Das Glockenfest im Schwarzwald. 229 
wir in der Luft hin und wieder, indessen wir Gartenanlagen, in den 
alten Schutt gepflanzt, neben uns bewundern. Durch Brücken sind Türme, 
Mauerhöhen und Flächen zusammengehängt, heitere Gruppen voll Blumen 
und Strauchwerk dazwischen; sie waren diesmal regenbedürftig, wie die 
ganze Gegend. 
Nun, im klaren Abendlichte, lag Rüdesheim vor und unter uns. 
Eine Burg der mittlern Zeit, nicht fern von dieser uralten. Dann ist 
die Aussicht reizend über die unschätzbaren Weinberge; sanftere und 
steilere Kieshügel, ja Felsen und Gemäuer sind zu Anpflanzung von Reben 
benutzt. Was aber auch sonst noch von geistlichen und weltlichen Gebäuden 
dem Auge begegnen mag, der Johannisberg herrscht über alles. 
Nun mußte denn wohl, im Angesicht so vieler Nebhügel, des Eilfers 
in Ehren gedacht werden. Es ist mit diesem Weine wie mit dem Namen 
eines großen und wohltätigen Regenten: er wird jederzeit genannt, 
wenn auf etwas Vorzügliches im Lande die Rede kommt; ebenso ist auch 
ein gutes Weinjahr in aller Munde. Ferner hat denn auch der Eilfer 
die Haupteigenschaft des Trefflichen: er ist zugleich köstlich und reichlich. 
In Dämmerung versank nach und nach die Gegend. Auch das 
Verschwinden so vieler bedeutender Einzelheiten ließ uns erst recht Wert 
und Würde des Ganzen fühlen, worin wir uns lieber verloren hätten; 
aber es mußte geschieden sein. 
76. Das Glockenfest im Lchwarzwald. 
Heinrich Hansjakob. Ausgewählte Schriften. Kassel. 
Auf der höchsten Höhe zwischen Elz- und Kinzigtal versammeln sich 
alljährlich am Pfingstmontag die Hirtenbuben der ganzen Umgegend zum 
„Glockenfest". 
Vom ersten Maitag bis Gallustag (10. Oktober) sitzen diese Buben 
einsam und verlassen bei ihren Herden in Schluchten, Hochtälern und 
auf Bergeshöhen. Jedes ihrer Tiere hat eine Glocke, und am Glocken¬ 
ton erkennt der Hirte, wo dieses oder jenes Stück steht. Sein Lieblings¬ 
tier trügt die hell- und wohltönendste Glocke, und jeder Hirte bemüht 
sich, eine solche zu bekommen. Die „Gehöre" fhtb aber so verschieden 
wie die „Geschmäcker', und so hat jeder Hirtenbub eine andere Tonliebhaberei. 
Darum kommen die Buben alljährlich einmal aus den Bergen herab 
und von den Tälern herauf auf die Eck, um Glocken zu vertauschen. 
Da hat der eine Hirte auf dem Martini-Markt eine Glocke gekauft; 
die hat ihm drunten im „Städtle" zwischen den engen Gassen gar wohl 
geklungen, und jetzt mtf der reinen, luftigen Höhe hört er sie fast nimmer, 
wenn das Tier nur wenige Schritte von ihm weg ist. Dem andern hat
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.