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Reuter. Rückert. 350
Und neuen Hosen ist das nicht zuviel." —
„Na, Herr Avkat," seggt Möller Thiel,
„Denn gewen S' man drei Daler her,
20 Wil't Ehr oll Köter wesen ded'." —
„Mein Hund? Mein Pollo biß Sie in die Waden?
Nun gut! Ich glaub's und stehe für den Schaden:
Hier sind drei Taler für die Hosen,
Was Recht ist, muß als Recht bestehn,
25 Und sollt' die Welt in Stücken gehn!" —
De Möller lacht so recht gottlosen
Und denkt, den'n heft du richtig namen!
Strickt sick dat lütte Geld tausamen
Un will gehursamst sick empfehlen.
30 „Halt, lieber Freund!" seggt de Avkat,
„Ich kann es Ihnen nicht verhehlen,
Daß in beregter Sach' für Müh' und guten Rat
Drei Taler sechzehn Groschen mir gebühren.
Man wedder 'rut mit de drei Daler,
35 Un sößteihn Gröschen bigeleggt!
Denn kümmt de Sak irst richtig t'recht.
Recht, Fründting, möt as Recht bestahn,
Un füll de Welt in Stücken gähn!"
J(50. Der Baum des Lebens.
Friedrich Rückert. Gesammelte poetische Werke. Frankfurt a. M.
Als Adam lag im Todeskampfe schon,
Schickt' er zum Paradiese seinen Sohn,
Zu holen einen Zweig vom Lebensbaum,
Und zu genesen hofft' er noch davon.
5 Seth brach das Reis, und als er's hergebracht,
War schon des Vaters Lebenshauch entslohn.
Da pflanzten sie das Reis auf Adams Grab,
Und fortgepflanzt ward es von Sohn zu Sohn.
Es wuchs, als in der Grube Joseph lag
10 Und Israel in der ägypt'schen Fron.
Des Baumes Blüten gingen duftend auf,
Als David harfend saß auf seinem Thron.
Dürr ward der Ballm, als an dem Weg des Herrn
Irr' ward in seiner Weisheit Salomon.
15 Doch die Geschlechter hofften, daß ihn neu
Beleben sollt' ein andrer Davidssohn.
Das sah im Geist der Glaube, da er saß
Im Leid an Wasserflüssen Babylon.
Und als der ew'ge Blitz vom Himmel kam,