Schenkendorf. Schiller.
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6. „Wenn du im Land der Träume dich verweilet,"
Versetzt der Gott, „so hadre nicht mit mir.
Wo warst du denn, als man die Welt geteilet?"
„Ich war", sprach der Poet, „bei dir.
7. Mein Auge hing an deinem Angesichte,
An deines Himmels Harmonie mein Ohr;
Verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte
Berauscht, das Irdische verlor!" —
8. „Was tun?" spricht Zeus — „die Welt ist weggegeben,
Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein.
Willst du in meinem Himmel mit mir leben,
So oft du kommst, er soll dir offen sein."
J55. Die Kraniche des Ibfkus.
Friedrich von Schiller. Sämtl. Werks. Stuttgart u. Tübingen.
1. Zum Kampf der Wagen und
Gesänge,
Der auf Korinthus' Landesenge
Der Griechen Stämme froh vereint,
Zog Jbykus, der Götterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
Der Lieder süßen Mund Apoll.
So wandert' er an leichtem Stabe
Aus Rhegium, des Gottes voll.
2. Schon winkt auf hohem Berges¬
rücken
Akrokorinth des Wandrers Blicken,
Und in Poseidons Fichtenhain
Tritt er mit frommem Schauder ein.
Nichts regt sich um ihn her, nur
Schwärme
Von Kranichen begleiten ihn,
Die fernhin nach des Südens Wärme
In graulichtem Geschwader ziehn.
3. „Seid mir gegrüßt, befreund'te
Scharen,
Die mir zur See Begleiter waren!
Zum guten Zeichen nehm' ich euch:
Mein Los, es ist dem euren gleich.
Von fern her kommen wir gezogen
Und flehen um ein wirtlich Dach —
Sei uns der Gastliche gewogen,
Der von dem Fremdling wehrt die
Schmach!"
4. Und munter fördert er die
Schritte
Und sieht sich in des Waldes Mitte:
Da sperren auf gedrangem Steg
Zwei Mörder plötzlich seinen Weg.
Zum Kampfe muß er sich bereiten,
Doch bald ermattet sinkt die Hand,
Sie hat der Leier zarte Saiten,
Doch nie des Bogens Kraft gespannt.
5. Er ruft die Menschen an, die
Götter,
Sein Flehen dringt zu keinem Retter;
Wie weit er auch die Stimme schickt,
Nichts Lebendes wird hier erblickt.
„So muß ich hier verlassen sterben,
Auf fremdem Boden, unbeweint,
Durch böser Buben Hand verderben,
Wo auch kein Rächer mir erscheint!"
6. Und schwer getroffen sinkt er
nieder,
Da rauscht der Kraniche Gefieder;
Er hört, schon kann er nicht mehr
sehn,
Die nahen Stimmen furchtbar krähn.
„Von euch, ihr Kraniche dort oben,
Wenn keine andre Stimme spricht,
Sei meines Mordes Klag' erhoben!"
Er ruft es, und sein Auge bricht.