00 I. Erzählungen, Beschreibungen u. s. w.
auf dem Gesicht liegeud. Die Beine und Arme lagen ausgespreizt gleich
Mühlenflügeln. Nein! Nicht tot! Denn der linke Arm hob sich mit
letzter Kraftanstrengung empor, als zucke er in der Abwehr vor meines
Pferdes Hufen. Ein Rabe, der auf denl Geländer saß und den Schwer¬
verwundeten mit schiefem Kopfe sehnsüchtig betrachtete, flog mürrisch ins
Weite.
Die Meldung war von Wichtigkeit, ich mußte weg. Hier lag einer
nur, und Hunderte büßten vielleicht mein Zögern mit dem Tode. Da
fiel mir in den Zügel links ein südfranzösisch Weib mit roten, jungen
Lippen. Ihre dunklen Augen gruben sich flehentlich in die meinen. Ge¬
rechter Gott! Vor meinem Gaule kniete, den linken Arm ausstreckend
gegen mich, den andern um den einzigen Sohn klammernd, ein altes
Mütterchen und ries: „Halt! Halt! Gib meinem Sohn zu trinken, nur
einen Schluck! Noch lebt er! Hilf, hilf!"
Schon lockerte ich im strohumwickelten Bügel den Fuß, um abzu¬
springen, als mich zwei ruhige graue Augen trafen. Rechts vom Geländer
stand ein langes, schmales Weib, im weißen, togaähnlichen Faltengewande!
Nicht trüb und traurig, doch auch nicht fröhlich sah sie mich an. Ihre
Züge blieben gleichmäßig ernst und streng: die Pflicht rief niich, und ich
gehorchte.
Als ich auf dem Rückweg an dieselbe Brücke kam, lag noch immer
der Garde mobile da. Ich sprang vom Pferde, und, mir den Trensen¬
zügel über die Schulter hängend, kniete ich nieder, um ihm aufzuhelfen.
Doch zu spät; aus seinen Augen lachte mich der Tod an, und die Ur¬
mutter Erde sog gierig sein Blut. Der Tag ward heller, wenn er auch
trübe blieb. Der Himmel zeigte dem Schlachttage ein widerwärtiges,
heimatforderndes Graueinerlei. Schwach klang vom linken Flügel Gewehr¬
feuer her. Ich nahm den Krimstecher. Doch kaum hielt ich ihn vor den
Augen, als mich ein heftiges Knattern schnell zum Umsehen zwang. Vor
einem durchsichtigen, nahen Wäldchen lagen graue Wölkchen im Ringel¬
tanze. Da knallte es wieder. Wetter! Das galt mir. Klipp, klapp,
schlug's um mich ein in die nackten Zweige einer Eiche. Ich schoß wie
die Schwalbe davon, nach rückwärts, zum Wäldchen, Abschiedshandküsse
sendend.
Dann, im ruhigen englischen Trabe weiter reitend, stieß ich plötzlich
auf einen Zug Husaren, der um die Ecke eines Häuschens bog. Voran
mein Freund, ein junger Offizier mit schiefer Pelzmiitze. Ihm gehörte
schon seit Jahren mein Herz; wir hatten uns manchen Tag und manche
Nacht zusammengefunden. Wie immer war er ä quatre ¿pingles.
Im rechten Auge glitzerte die Scherbe, von der ich behauptete, daß er
sie auch nachts nicht ablege. „Wo willst du hin?" „Und du?" Er
deutete auf das Wäldchen, das sich mir eben so freundschaftlich gezeigt