Full text: [Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband]] (Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband])

00 I. Erzählungen, Beschreibungen u. s. w. 
auf dem Gesicht liegeud. Die Beine und Arme lagen ausgespreizt gleich 
Mühlenflügeln. Nein! Nicht tot! Denn der linke Arm hob sich mit 
letzter Kraftanstrengung empor, als zucke er in der Abwehr vor meines 
Pferdes Hufen. Ein Rabe, der auf denl Geländer saß und den Schwer¬ 
verwundeten mit schiefem Kopfe sehnsüchtig betrachtete, flog mürrisch ins 
Weite. 
Die Meldung war von Wichtigkeit, ich mußte weg. Hier lag einer 
nur, und Hunderte büßten vielleicht mein Zögern mit dem Tode. Da 
fiel mir in den Zügel links ein südfranzösisch Weib mit roten, jungen 
Lippen. Ihre dunklen Augen gruben sich flehentlich in die meinen. Ge¬ 
rechter Gott! Vor meinem Gaule kniete, den linken Arm ausstreckend 
gegen mich, den andern um den einzigen Sohn klammernd, ein altes 
Mütterchen und ries: „Halt! Halt! Gib meinem Sohn zu trinken, nur 
einen Schluck! Noch lebt er! Hilf, hilf!" 
Schon lockerte ich im strohumwickelten Bügel den Fuß, um abzu¬ 
springen, als mich zwei ruhige graue Augen trafen. Rechts vom Geländer 
stand ein langes, schmales Weib, im weißen, togaähnlichen Faltengewande! 
Nicht trüb und traurig, doch auch nicht fröhlich sah sie mich an. Ihre 
Züge blieben gleichmäßig ernst und streng: die Pflicht rief niich, und ich 
gehorchte. 
Als ich auf dem Rückweg an dieselbe Brücke kam, lag noch immer 
der Garde mobile da. Ich sprang vom Pferde, und, mir den Trensen¬ 
zügel über die Schulter hängend, kniete ich nieder, um ihm aufzuhelfen. 
Doch zu spät; aus seinen Augen lachte mich der Tod an, und die Ur¬ 
mutter Erde sog gierig sein Blut. Der Tag ward heller, wenn er auch 
trübe blieb. Der Himmel zeigte dem Schlachttage ein widerwärtiges, 
heimatforderndes Graueinerlei. Schwach klang vom linken Flügel Gewehr¬ 
feuer her. Ich nahm den Krimstecher. Doch kaum hielt ich ihn vor den 
Augen, als mich ein heftiges Knattern schnell zum Umsehen zwang. Vor 
einem durchsichtigen, nahen Wäldchen lagen graue Wölkchen im Ringel¬ 
tanze. Da knallte es wieder. Wetter! Das galt mir. Klipp, klapp, 
schlug's um mich ein in die nackten Zweige einer Eiche. Ich schoß wie 
die Schwalbe davon, nach rückwärts, zum Wäldchen, Abschiedshandküsse 
sendend. 
Dann, im ruhigen englischen Trabe weiter reitend, stieß ich plötzlich 
auf einen Zug Husaren, der um die Ecke eines Häuschens bog. Voran 
mein Freund, ein junger Offizier mit schiefer Pelzmiitze. Ihm gehörte 
schon seit Jahren mein Herz; wir hatten uns manchen Tag und manche 
Nacht zusammengefunden. Wie immer war er ä quatre ¿pingles. 
Im rechten Auge glitzerte die Scherbe, von der ich behauptete, daß er 
sie auch nachts nicht ablege. „Wo willst du hin?" „Und du?" Er 
deutete auf das Wäldchen, das sich mir eben so freundschaftlich gezeigt
	        
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