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9. Rechtsvergehen sollen durch Strafen gebüßt werden, deren Art
und Maß nach dem schriftlich überlieferten Herkommen nicht aber
nach Gunst oder Neid festgesetzt wird. 10. Gemeindebesitz, welcher
gegen Herkommen und Vertrag der Gemeinden entzogen oder in der
Nutznießung beschränkt worden, soll den Gemeinden frei gegeben
werden. 11. Die Abgabe, welche man „Todfall" (mortuarium) —
auch „Sterbefall" oder „Besthaupt" hieß, soll in Wegfall kommen.
Beim Tode des Grundholden nämlich erhob der Lehnsherr (Gutsherr)
eine Art Erbschaftssteuer, die je nach Brauch vom 20. bis zum
3. Teile des Wertes des Lehnhofes stieg. 12. Jede dieser Bestim¬
mungen sollte hinfällig werden, sobald sie auf Grund der Schrift
als unzulässig dargethan worden. Desgleichen soll es indes den
Bauern auch vorbehalten bleiben, auf Grund der Schrift andere
Forderungen aufzustellen.
An der Hand der überlieferten „Weistümer" d. h. Rechts-
satzuugen alter Zeit läßt sich der Nachweis erbringen, daß die meisten
der in den XII Artikeln aufgestellten Forderungen ehedem zu Recht
bestanden haben. Die Bauern wollten also hierin Verhältnisse
wieder herstellen, wie sie dem alten Rechtszustande entsprachen. Neu
d. h. bislang noch nicht thatsächlich in die Rechtssatzungen auf-
genommen, sind die Forderungen über Pfarrerwahl, Zehnterhebung,
Aufhebung der Leibeigenschaft und Abschaffung des „Todfalles".
Die XII Artikel schaffen indes auch in diesen Punkten nichts Neues;
sie machen sich hierin lediglich Forderungen zu eigen, die immer und
immer wieder in den bäuerlichen Bewegungen vergangener Tage zum
Durchbruch gekommen waren. Neu ist es auch, daß die XII Artikel
als Forderungen der deutschen Bauernschaft in ihrer Gesamtheit auf-
treten; sie nennen sich ausdrücklich: die gründlichen und rechten
Hauptartikel „aller" Bauernschaft und Hinterfassen der geistlichen und
weltlichen Obrigkeit. Die rein örtliche Bewegung einzelner Land-
schuften wächst damit zu einer die ganze Bauernschaft umfassenden
Bewegung an.
Die XII Artikel sind nichts anderes als ein Entwurf zur
verbessernden Umgestaltung der wirtschaftlichen Lage des bäuerlichen
Standes. Diesem Entwurf darf das Lob weiser Maßhaltung nicht
vorenthalten bleiben. Die Lasten der Bauern sollen nicht etwa ab¬
geschafft werden unter Nichtachtung der geltenden Herrenrechte; sie
sollen an der Hand von Satzung und Vertrag nur auf ein erträg¬
liches Maß zurückgeführt werden. Damit würde dem Bauernstande
die Kraft erhalten und das Bestehen gesichert werden. Jegliche
Stärkung des Bauernstandes indes mußte damals noch mehr wie