Aus dem Nibelungenlied. 
21. Rüdeger versetzte: „Wie führt' ich solches aus? 
Ich habe sie geladen zu mir in mein Haus: 
denen Trank und Speise ich freundschaftlich bot, 
die ich als Freund begabte, ihnen brächt' ich heut den Tod? 
22. Giselher dem Degen gab ich die Tochter mein: 
sie konnte einem Bessern nicht gegeben sein 
auf Zucht und auf Ehre, auf Treue und auf Gut. 
Nie sah ich einen König von so tugendlichem Mut.“ 
23. Da sprach wieder Kriemhild: „Edler Held, dein Herz 
habe hier doch Mitleid mit unser beider Schmerz, 
meinem und des Königs! Erwäge, daß ein Gast 
einem Herrn des Landes also nimmer ward verhaßt!“ 
24. Zur Antwort gab der Markgraf der Fürstin hoch und hehr: 
„So muß es heut'ges Tages entgelten Rüdeger, 
was Ihr und mein Gebieter mir Liebes habt getan! 
Darum muß ich sterben: mein Verderben muß sich nahn. 
25. Ich weiß wohl, daß noch heute Burgen mir und Land 
für Euch erledigt werden von fremder Helden Hand. 
Euch auf Eure Treue befehl' ich Weib und Kind, 
all die Vaterlosen, die zu Bechelaren sind.“ 
26. „Nun lohne Gott,“ sprach Etzel, „dir, Held, zum Gewinn!“ — 
ihm und auch der Fürstin ward es froh zu Sinn — 
„Uns sollen all die Deinen treu empfohlen sein; 
auch trau' ich meinem Glücke, gerettet wird das Leben dein.“ 
27. So in die Schanze schlug er treulich Seel' und Leib; 
da hub an zu weinen König Etzels Weib. 
Er sprach: „Wie ich gelobte, halt' ich den Eid getreu: 
wehe meinen Freunden, die ich bekämpf' in Scham und Scheu!“ 
28. Den Helden von dem König man traurig scheiden sah; 
da sah er seine Recken; sie standen alle nah. 
„Ihr Männer sollt euch waffnen und mit zum Kampfe gehn! 
Die kühnen Burgunden muß ich mir zum Gram bestehn.“ 
29. Schnell schickten sie die Diener, wo sich Rüstung fand, 
mocht' es nun der Helm sein oder Schildesrand; 
herbei schafft' es eilig all ihr Ingesind. 
Es kam den stolzen Fremden die leid'ge Kunde gar geschwind. 
30. Behelmt nun war zu sehen der edle Rüdeger. 
Des Helden Recken trugen Schwerter scharf und schwer; 
an ihrer Hand man breite, lichte Schilder sah. 
Der Fiedler Volker sah sie: das ging dem Recken bitter nah.