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8. In den sieben Tönen schweift er unerschöpflich auf und nieder,
In den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder.
9. Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken,
Kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken.
G. Keller, Ges. Gedichte. Stuttgart, I. G. Cottasche Buchhandlung Nachf.
85. Mei Haamet.
(In vogtländischer Mundart.)
1. Js dös a schö's Eckel
Wie kaans af der Welt!
Mir'sch nergnds net su wie
In man'n Vugtland gefällt.
2. De Luft su gesund und
Dor Barg net ze huch;
In' Wertshaus gut's Bier und
Do schreie se „guch!"
3. De Baamer su grü' und
De Wiesen -su bunt
Und de Gunge su darb und
De Maadle su rund.
4. Und wie werd gearwet
Togaus wie a Feind;
Wie sei de Leit fleißig,
Su lang de Sunn' scheint.
5. Mei Vugtland, mei Haamet,
Js schenner wie schie,
Und wer mer'sch net' glaam mög,
Soll ner erscht hergieh.
L. Riedel in den „Bunten Bildern aus dem Sachsenlande". Leipzig, I. Klinkhardt.
J8C Aus einer Wanderung.
In ein freundliches Städtchen tret' ich ein,
In den Straßen liegt roter Abendschein.
Aus einem offnen Fenster eben,
Über den reichsten Blumenflor
6 Hinweg, hört man Goldglockentöne schweben,
Und eine Stimme scheint ein Nachtigalleuchor,
Daß die Blüten beben,
Daß die Lüfte leben,
Daß in höherem Rot die Rosen leuchten vor.
io Lang' hielt ich staunend, lustbeklommen.
Wie ich hinaus vors Tor gekommen,
Ich weiß es wahrlich selber nicht.
Ach hier, wie liegt die Welt so licht!
Der Himmel wogt in purpurnem Gewühle,
i6 Rückwärts die Stadt in gold'nem Rauch;
Wie rauscht der Erlenbach, wie rauscht im Grund die Mühle!
Ich bin wie trunken irr'geführt —
O Muse, du hast mein Herz berührt
Mit einem Liebeshauch!
Ed. Mörike.