Full text: Deutsches Lesebuch für die mittleren Classen höherer Lehranstalten

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n 
Größere epische Dichtungen. 
Feuchten Blicks, um seinen prächtigen Turban. 
Dann beginnt er: ‚Nicht ein bloß Ge— 
schenk sei 
Diese Kette, nein — sie werd' ein Pfand 
mirl 
320 Wenn in Bagdad meiner Väter Sitz ich 
Einst besteige, mahne mich an meine 
Schönste Pflicht dies Unterpfand; ich führe 
Dich zurück auf Deinen Thron, entsagend 
Jedem Lohn, Du . den Lohn voraus 
mirl 
Ja, und wenn Du diese stille Freistatt 
Kieber solltest, als Byzanz, bewohnen, 
Deines Rechtes seist Du nicht verlustig, 
Nicht als Flüchtige sollst Du hier genannt 
sein! — 
Nun zum letzten Mal, o Heliodora, 
330 Lebe wohl!“ — So spricht Mohadis 
Enkel. 
„Lebe wohl,“ versetzte Heliodora. 
Seine dargebotne Hand mit leisem 
Druck berührend, trat sie scheidend rückwärts. 
Auf der Schwelle stand der Abbatissin 
Strenge Form; sie winkte. Beide Frauen 
Waren bald verschwunden. Auf den Rappen 
Steigt Amin, und jener schwingt empor sich. 
Wenn vielleicht in dieser Stadt, von Deiner 
Bösen List umgarnt, verweilt der jüngste 
Sohn des Harun, der der Sohn Mohadis, 
Sollst Du sonder Zögerung den Jüngling 
Meinen Händen übergeben. Gnade 
Mag Dir dann vielleicht ein Wink verheißen. 
Doch, versagst Du Dich gerechter Fordrung, 
30 Wird sie Dich zerstören, ihre Pflugschaar 
Führen über diese Stadt, und ackern 
Auf den Trümmern Deiner falschen Herrschaft! 
Nicht vergeblich droht sie Dir: an's Fenster 
Komm, es weht in diesen Wimpeln allen 
Dir der Zorn der Königin entgegen! 
Hier beschützen Dich allein Trabanten, 
Feige Söldner, denn es haßt das Volk Dich; 
Dies bedenk' und weigere nicht Gehorsam!“ 
Stolzen Blicks erwiedert Schehriar ihm, 
40 Rasch den Säbel aus der Scheide reißend: 
„NMelde Deiner Königin, wie glänzend 
Diese Waffe sei, wie frei von Rost noch. 
Mag sie landen, wenn es ihr gelüstet; 
Aber nie mehr mag sie dann im Schatten 
Ihrer Palmenhaine weichlich wandeln! 
Nicht Moscheen und Thürme, Gräber wollen 
Bau'n wir ihr und allen ihren Sclaven!“ 
So der König, der den Feind entlassend 
Rasch zu Pferde steigt. Mit verhängtem 
Zügel 
50 Jagt er durch die Stadt, um seine 
Söldner 
Einzusammeln. Auf des eignen Palast's 
Flaches Dach indessen läßt die beiden 
Abbassiden wohlbewacht er führen, 
Wohlgefesselt. Sollten je, gedenkt er, 
Sieg erfechten hier die Mosleminen, 
Möge Harun Alraschid in Bagdad 
Durch der eignen Söhne schmählich Ende 
Seines gläubigen Volls Triumph bezahlen! 
Unterdessen wehte hoch und stattlich 
60 Längs der Rhede schon Selmira's Flagge. 
Durch den günstigen Wind getrieben, drängte 
Schiff an Schiff sich, folgend eins dem andern, 
Um die Wette steuernd. Also folgen 
Auf, der Rennbahn oft sich edle Rosse 
Pfeilgerade, wenn sie losgelassen 
Nebenbuhlerisch den Preis erjagen. 
Kaum der Landung widersetzt das Volk sich. 
Schehriar, der seine Mannen anführt, 
Reiht sich außerhalb des Thors in Ordnung; 
70 Doch den Schiffen fort und fort ent⸗ 
steigen 
Immer neue Krieger, nach der Stadt zu 
Drängt das Heer der Königin den König. 
Wie die See, wenn sturmbewegt sie brandet, 
196. Neunter Gesang. 
Durch die Magierstadt indessen wälzte 
Sich Tumult und dem Hafen drängt 
si 
Alles Volk. Man sieht mit ausgespannten, 
Vollen Segeln nahn sich eine Flotte. 
Bald an's Land in einer leichten Barke 
Steigt ein Herold; dieser heischt, dem König 
Vorgeführt zu sein, und augenblicklich 
Vor den König führen ihn Trabanten. 
Drauf zu Schehriar beginnt der Fremdling: 
10 „Mächtiger Herrscher, der Du diese Reiche 
Durch Gewalt erobert, Dir entbietet 
Ihren Gruß die Königin Selmira, 
Die sich gürtet mit dem Schwert Muhammeds. 
Dir gebeut sie, dieses Land vom schnöden 
Feuergottesdienste rein zu waschen, 
Wieder aufzubau'n Moscheen und Thürme, 
Und die Gläubigen zum Gebete fünfmal 
Jeden Tag zu rufen. Deiner Krone 
Dir nur angemaßten Reif befiehlt sie 
20 Auf das Haupt der Tochter Abdorrah— 
mans, 
Deren Eigenthum er ist, zu setzen. 
Doch vor Allem dieses Eine heischt sie:
	        
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