Lehraufsätze.
347
denn auch, und das soll mir kein Mensch
verbieten.
Habe ich nicht heute eine Menge Holz ge⸗
hackt bhis zur Abenddämmerung; und nun
gehe ich wieder aus und halte die Stadt in
Ordnung. Wie Mancher, der kein Holz ge—
hackt und überhaupt Nichts gehackt und ge—
macht hat, und wie mancher Andere, der
nur rechnen oder schreiben oder denken mußte,
wovon doch die Knochen nicht müde werden,
liegt nun schon im warmen Federbette, und
es ist ihm vielleicht Dieses und Jenes nicht
recht, indeß mir der schneidende Morgenwind
recht sein muß. Wenn nun so Einer mich
rufen hört, so denkt er doch wohl, es sei
ihm behaglicher, auf der weichen Stätte zu
ruhen, als wie in den kalten Straßen her—
umzulaufen und nützliche Wahrheiten bekannt
zu machen. Und das dient ihm vielleicht
dazu, daß er sein Gutes besser erkennt; und
wer die Menschen ihr Gutes besser erkennen
lehrt, der ist doch ein nothwendiger Mensch
im Staate, wie der Herr Bürgermeister sagt.
Wer das nicht einsehen kann, der mag
überall wenig einsehen können. Ich möchte
es nicht verantworten, wie es in der Welt
hergehen wuͤrde, wenn es keinen Nachtwäch—
er gabe. Jede Nacht schreie ich mir die
Zunge müde, um heilsame Lehren zu geben.
eiüch hören nicht Viele darauf, und die
Meisten schlafen dabei; aber, lieber Himmel,
wie manche guten Lehren werden nicht ge—
hört, und wie manche werden verschlafen.
Was kann ich dasir? Und dabei bewache
ih die Menschen und ihre Besitzungen. Wohl
ist es sonderbar, ich wache für das Geld, für
die Schätze und für die Häuser der Leute
und bin selbst so arm, fast so arm, wie ein
Känsehirt, und habe kein Geld und keine
Schäße und nicht einmal ein eignes Haus.
Aber da gehts mir grade wie den Könsgen;
in guter König wacht für die Ruhe des
Landes und hat selbst leine Ruhe. Ists doch
auch sonst nichts Seltenes, daß Leute elwas
besorgen und verwalten, was sie selbst nicht
haben Der Hirt hütet Heerden und hat
gewöhnlich selbst kein Vieh, der Schuhmacher
hat oft die aältesten Schuhe, der Schneider
die dürftigste Kleidung uͤnd der Mann, der
den Leuten die Haare kraus und wunderlich
macht, den ungeschmücktesten Kopf. Nur
wär' es nicht gut, wenn s durchaus so sein
sllte; denn wenn die, welche r den Ven
stand und die Tugend Anderer zu sorgen ba
ben, selbst keinen Verstand und keine Tugend
hätten, so müßte man doch „Wehe“ über sie
rufen. Das soll über mich Keiner; denn so
arm ich bin, so treu will ich für Euch wa—
chen, Ihr Armen und Ihr Reichen. Nur
verachtet mich nicht und überlegt, wie schwer
es ist, ein guter Nachtwächter zu sein. Ihr
müßt's doch wohl vernehmen, daß nicht alle
meine Amtsbrüder so recht fähig und tüchtig
sind. Ich will das nicht gesagt haben, um
mich zu rühmen; die Gabe des Vortrags
wird nun einmal nicht Jedem zu Theil, und
in der Rede sind nicht alle gleich stark. Es
beweist aber doch, wie viel zu meinem Amte
gehört. Auch gibt es für einen Mann, der
uͤber seine Geschäfte nachdenkt, allerlei Be—
denklichleiten und Zweifel. Ich habe das im
Anfange, als ich meinen Dienst antrat, recht
wohl erfahren.
Wie viele Besorgnisse machte es mir da,
daß ich bloß rufen mußte: „Höret, ihr Her—
ren!“ und daß ich die Frauen nicht nennen
durfte. Es that mir immer herzlich leid.
„Sie gehören auch dazu,“ dachte ich und
war mir recht bange, daß sie mir es übel—
nehmen möchten; und wenn eine mich am
Tage scharf ansah, so meinte ich, sie wollte
mir Vorwürfe machen. Ich beruhigte mich
dadurch, daß sie doch mit hörten, wenn ich
sie gleich nicht mit nenne, wie sie denn auch
in andern Fällen, wo sie gleichfalls nicht ge⸗
nannt werden, mit hören und mit geschäftig
sind. Und überdies, wenn man erst im
Amte ist, so geben sich die Bedenklichkeiten,
so, daß ich jetzt im Stande bin, auf die
Worte: „Ihr Herren“ einen rechten Nach—
druck zu legen, als thät ich's den Weibern
zum Trotze. Aber das thue ich gewiß nicht.
Auch war es mir zuerst oft ärgerlich, daß ich
oft die Unwahrheit sagen mußte; ich kann
das nun nicht leiden und gewiß, es ist recht
schlimm, wenn man seines Amtes wegen Un—
wahrheiten sagen soll. Es war mir stets
peinlich, wenn ich im Winter des Morgens
um vier Uhr nach Hause ging und öffentlich
behaupten mußte: „Der Tag vertreibt die
finstre Nacht.“ — „Es ist doch nicht wahr,“
sagte ich dann immer ganz leise hinterher.
Wie ichs aber verbessern wollte, ja, da kam
ich schön an. Ich hatte wohl laum dreimal
gerufen: „Es ist zwar noch ganz finstre Nacht,
aällein ich hab' genug gewacht,“ da mußte ich
zum Bürgermeister kommen. „Ihr unver—
schämter Kerl!“ fuhr er mich an, „was macht