Epigramme.
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Gewinnen! und der Saal so licht, daß droben
Die Lerche selbst die graue Lerche sieht,
Die unter ihrem wolkenhohen Liede
In grüner Saat im stillen Neste brütet;
So bald verschlossen, daß die Hyacinthe
Hervorzubrechen eilt, um abzublühn,
20 Daß jede Welle unaufhaltsam fließt,
Als habe sie nicht auf ein Wörtchen Zeit!
So schön, daß auch Homer mit blinden Augen
Noch einmal weinen würde! — Und so
Die Todten, Priamus und Helena, lliebl —
Und Karl der Große und Napoleon,
Sie möchten im Gefängniß ihrer Gruft
Ein kleines, kleines Fensterchen nur haben,
Um einen Blick hinaus zu thun zum Himmel —
Nur groß genug, das Ohr daran zu legen,
30 Ein Viertelstündchen lang das Bienen—
surren
Und das Geruf der Vögel anzuhören,
Zu weinen, und nach langem Schlaf ge—
stärkt,
Sich wieder hin zum langen Schlaf zu legen,
Dem schweren Schlaf der Todten! — Doch
Du lebst
In dieser Werkstatt zarter Wunderwerke,
In der kein Hammerschlag erklang, kein Pinsel
WVo übrig steht * Mẽister sichtbar
schuf —
Und doch ist Alles fertig! Wundersam!
Nur Wolken fliegen weg, die Wasser trugen,
¶ Nur Wasser rauschen fort, die Wiesen netzten,
Nur Lüfte loͤschen aus, die Wolken brachten!
Und lächelnd, still, als ob sie nichts gethan,
Steht hell die Sonn' am Himmel, doch noch
sichtbar
Den Menschen; aber der, der Alles thut,
Der Meister ist nicht einmal sichtbar, lächelt
Selbst nicht einmal — der Frühling ist sein
Lächeln! Schefer.
3. Wahl.
Kannst Du nicht Allen gefallen durch Deine
That und Dein Kunstwerk,
Mach' es Wenigen recht! Vielen gefallen
ist schlimm.
4. Inneres und Aeußeres.
„Gott nur siehet das Herz.“ — Drum eben, weil
Gott nur das Herz sieht,
Sorge, daß wir doch auch etwas Erträg—
liches sehn!
— ——
103. Neun Sprüche von Goethe.
J.
Wer ist ein unbrauchbarer Mann?
Der nicht befehlen und nicht gehorchen kann.
82.
Wer sich nicht nach der Decke streckt,
Dem bleiben die Füße unbedeckt.
3.
Willst Du nichts Unnützes kaufen,
Mußt Du nicht auf den Jahrmarkt laufen.
4.
Ein Kranz ist gar viel leichter winden,
Als ihm ein würdig Haupt zu finden.
5.
Es ließe sich Alles trefflich schlichten,
Könnte man die Sachen zweimal verrichten.
6.
Alles in der Welt läßt sich ertragen,
Nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.
Wenn ein Edler gegen Dich fehlt,
So thu', als hättest Du's nicht gezählt!
Er wird es in sein Schuldbuch schreiben,
Und Dir nicht lange im Debet bleiben.
102. Vier Distichen von Schiller.
gx 1. Güte und Größe.
ur zwei Tugenden gibts; o wären sie im—
mer vereinigt,
Immer die Güte auch groß, immer die
Größe auch gut!
2. Freund und Feind.
Theuer ist mir der Freund; doch auch den
Feind kann ich nützen:
Zeigt mir der Freund, was ich lann, lehrt
mich derFeind, was ich soll.
8.
Mann mit zugeknöpften Taschen,
Dir thut Niemand was zu Lieb.
Hand wird nur von Hand gewaschen;
Wenn Du nehmen willst, so gib!
9.
Liegt Dir Gestern klar und offen,
Wirkst Du heute kräftig frei.
Kannst auch auf ein Morgen hoffen,
Das nicht minder glücklich sei.