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große, kräftige Mensch nicht? ... Vielleicht würde er es tun, wenn man
ihm nichts schenkte!
Die Bedenken des kleinen herzens haben auch schon die Seele vieler
Erwachsenen heiß bedrängt. Und diese haben es nicht dabei bewenden
lassen.
Doch als Antwort sei eine kleine Geschichte erzählt, von einem, der
sie miterlebt hat.
Dasselbe frierende Kind, das so sehnsüchtig auf der Straße nach
Weihnachten ausschaute, hatte zu hause gute Eltern und liebe Geschwister.
Aber die Mienen der Eliern waren seit einiger Zeit trotz des nahenden
Weihnachtsfestes durchaus nicht freudig. Vergebens suchten die Kinder
etwas von Weihnachtsstimmung in ihren Augen. Die Eltern wollten
auch nichts von den bescheidenen Wünschen der Kinder hören: Grete
wünschte sich einen Nähkasten, Hans ein hübsches Buch, Georg Peitsche
und Leine, Liesel eine Puppe und das Kleine einen Ball.
Ach, die Eltern sahen und hörten nur zu gut, was die Kinder wollten.
Und die Seele tat ihnen weh, da sie keine Hoffnung sahen, die bescheidenen
Wünsche zu erfüllen. Der Verdienst des Mannes war im Winter so viel
geringer als im Sommer; und doch waren die Bedürfnisse größer: mehr
schuhe, wärmere Kleidung, und die teuern Kohlen waren kaum zu er—
schwingen. Die Mutter, die durch Waschen und Bügeln sonst immer mit—
verdiente, hatte durch eine längere Krankheit gerade die besseren Stellen
berloren. Sie vertrug auch nicht mehr soviel schwere Arbeit. Wohl konnte
sie gut nähen und besaß auch eine Nähmaschine. Aber diese war
jetzt für wenige Mark in das Pfandhaus gewandert — zu nähen gab es
doch nichts; denn wie nötig auch die Kinder warmes Unterzeug brauchten,
man konnte keine Stoffe kaufen. Sie hätte auch für Fremde nähen können;
aber woher Aufträge bekommen; sie hatte keine Beziehungen, wußte nicht,
wohin sie sich wenden sollte.
Zu allem Unglück kam noch die geheime Furcht, daß der Mann, ein
fleißiger Arbeiter und liebevoller Vater, sich dem Trunke ergeben könnte,
um wenigstens auf Stunden die nagende Sorge zu vergessen. Schon hatten
ihn einmal Arbeitsgenossen mit in das Wirtshaus genommen.
Armenunterstüßung wollten sie nicht. Vor allem der Mamm stemmte
sich kräftig dagegen. Aber schließlich würde ja doch nichts anderes übrig
bleiben. Man möchte manchmal neidig werden auf die Keichen, die so
viel mehr hatten, als sie brauchten. Aber man konnte doch niemanden
angehen. Das würde ja wie Bettel aussehen! Und betteln wollte man
um keinen Preis. Nur einen Menschen wissen, mit dem man sich einmal
aussprechen könnte, der beraten möchte, der Arbeit verschaffen würde; dem
Nan alle Bitten und Fragen, alle Sorgen und ängste vortragen könnte ohne
Besorgnis, mißverstanden zu werden. Aber wo gab es eine solche Stelle?
In der Rachbarschaft wohnte eine Frau, die vielleicht diese ersehnte
und erträumte Stelle kannte. Früher hatte man es vermieden, mit der