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31. Das Schlimmste.
Der Kaufmann umarmte seinen Gast. „Du bist," so sprach er, „der
Mann, den mich dein ruhiger Blick und dein redliches Angesicht in dir ver¬
muten ließen. Nimm hier deine Zinsen des geliehenen Kapitals zurück; von
dir begehre ich dergleichen nicht, und voti heute an ist es nicht not, daß du,
wenn du von mir Geld willst, eine andere Ware als Unterpfand bei mir
einlegst, als jene gute, die nicht ins Gewicht fällt, die jedoch immer am Werte
dieselbe bleibt." —
Die Stücke der Palmenstämme, welche in dieser kleinen arabischen Ge¬
schichte vorkommen, erinnern an die Palmblätter, auf deren noch frischen Fläche
die Weisheit des Orients öfters Worte mit dem Griffel eingrub, die auch,
wenn das Blatt schon längst verwelkt und dürre war, ihre frische Lebenskraft
behielten. Das Wort der wahren, ewigen Weisheit, das Wort des Lebens,
wenn es statt auf Blätter der Palmen oder statt aus Papyrusschilf ins
Menschenherz geschrieben ist, unterliegt nicht mehr dem Zuge der Schwere
nach dem Irdischen hin, nicht mehr dem Gesetz der Vergänglichkeit dieses
Irdischen, sondern es behält für die Seele seinen Wert, wenn auch das Herz,
dem es eine zeitlang seine freudige Bewegung gab, schon längst in Staub
zerfallen ist.
31. Das Schlimmste.
Berthold Auerbach.
Schatzkästlein das Gevattermanns. Stuttgart 1862, Bd. II. S. 38.
Weißt du, was das ist?
Der Gevattersmann kann ein Stückchen davon erzählen. Er kennt
einen Mann, von dem er absichtlich nicht sagen will, zu welcher Religion er
gehört; sonst könnte der und jener meinen, bei ihm wär' es anders. In das
Dorf dieses Mannes kommt ein neuer Pfarrer. Der Mann, der gar fromm
und demütig ist, geht zu ihm und sagt nach den ersten Begrüßungen mit
niedergebeugtem Kopf und verschämt geschlossenen Augen: „Herr Pfarrer,
ich habe etwas auf dem Herzen, das kann ich nicht darauf liegen lassen."
„Was denn? lieber Mann."
„Ich trage diese Uhr da schon eine zeitlang, und doch gehört sie nicht
mir, ich habe sie gefunden. Mein Gewissen ist so unruhig und pickt allfort,
wie die Unruhe in der Uhr. Seien Sie nun so gut und verkünden Sie
es aus der Kanzel, daß der sie wieder holt, dem sie gehört."
„Das will ich thun; das ist brav von Euch." „Soll ich die Uhr jetzt
da lassen, oder soll ich sie wieder mitnehmen? Besehen Sie sie genau; sie
hat ein doppeltes Gehüus, und die Ziffer eins hat einen Sprung. Der Un¬
bekannte kann sie bei mir abholen. Ich bin ihm gut dafür." „Jawohl."
Der Pfarrer verkündete nun die Sache; es meldete sich aber niemand.