Object: Die deutsche Geschichte in ihren wesentlichen Grundzügen und in einem übersichtlichen Zusammenhang

424 Kap. 42. § 259. Christentum und Kirche. Thomasius. Unionsversuche. 
Pflegeanstalt. Die von ihm ausgehende verbesserte Lehrmethode und 
christliche Erziehungsweise machte lange Zeit hindurch das „Hallische 
Waisenhaus" zu einem Vorbild im deutschen Schulwesen. Unter seinen 
Mitarbeitern verdient Freilinghausen eine besondere Erwähnung. Als 
Franke 1727 starb, wurden in seiner deutschen Schule 2125 Kinder von 
136 Lehrern unterrichtet, im Waisenhause 430 Waisen, mehrere hundert 
andere arme Kinder und 255 arme Studenten gespeist; das Pädagogium 
bestand aus 152 Personen; der Gehilfen und dienenden Leute in den noch 
übrigen Anstalten waren es 82. Die sämtlichen mit dem Gesamtnamen 
„Fränkische Stiftungen" oder „Hallisches Waisenhaus" bezeichneten 
Gebäude umschließen einen Hofraum, der einer sehr langen und breiten 
Straße gleicht. 
Unter denen, die dem Aberglauben auss schärfste entgegentraten, muß 
Christian Thomasius (seit 1675 Professor der Beredsamkeit zu Leipzig, 
von 1684 an Professor der Jurisprudenz zu Frankfurt a. d. O. und 
seit 1694 zu Halle, f 1728) genannt werden, dem es durch seine Bered¬ 
samkeit gelang, den Hexenprocessen ein Ende zu machen, nachdem 
schon früher_der (245) genannte Katholik Friedrich von Spee münd¬ 
lich und schriftlich diesem Unwesen mutig entgegengetreten war. Nur hat 
Thomasius anderseits bei seinem Bestreben, die Achtung der Menschen- 
rechie geltend zu machen, durch seine Philosophie den Grund des positiven 
christlichen Glaubens untergraben helfen, insofern er z. B. den Concubinat 
und die Vielweiberei vom Standpunkte seines Naturrrechts verteidigte. 
Übrigens erhielt sich der Consessionsunterschied im Protestantis¬ 
mus fortwährend. Zwar wurden im 17. Jahrhundert die Versuche 
zur Vereinigung der lutherischen und reformirten Kirche, welche 
von letzterer von Anfang an vergebens waren angestrebt worden, mehrfach 
wiederholt. Insbesondere suchte man in Brandenburg, wo seit 1540 
nur die lutherische Kirchenordnung gegolten hatte, seit dem Über¬ 
tritte des Landessürsten Johann Sigismund 1613 zur reformirten 
Kirche (226) dieser letztem den Eingang zu verschaffen und durch die Con¬ 
fessio Sigismimdi, welche die schärfsten Unterscheidungslehren umging, auf 
die Vereinigung beider Consessionen hinzuarbeiten. 
Allein die angestellten Religionsgespräche (zu Leipzig 1631, zu Thorn 
1645, zu Cassel 1661) verschärften den Gegensatz nur; die lutherische 
Geistlichkeit und die Landstände setzten nachhaltigen Widerstand 
entgegen. ^ Hieraus suchte man durch Übertragung der lutherischen Kirchen¬ 
sachen auf den reformirten Geheimenrat, durch Abschaffung der Verpflich¬ 
tung auf die Concordienformel, durch das Verbot des Besuchs der luthe¬ 
rischen Universität Wittenberg den Widerstand zu brechen. Und als unter dem 
großen Kurfürsten so viele um ihres Glaubens willen aus ihren Heimat¬ 
landen vertriebene resormirte Franzosen, Pfälzer, Holländer und 
Waldenser im Brandenburgiscken Aufnahme fanden und dadurch, we¬ 
nigstens in den preußischen Ostseeprovinzen, die reformirten Gemeinden 
zusehends wuchsen, so trat durch die Gründung eines eigenen reformirten 
Kirchendirectoriums 1713 die resormirte Kirche förmlich neben der luthe¬ 
rischen auf, welche ebenfalls, jedoch viel später (seit 1750), durch ein eigenes 
lutherisches Oberconsistorium vertreten wurde. Doch verloren beide
	        
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