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VI. Das große Jahrhundert der deutschen Dichtung.
Und in spiegelnden Seen von hangenden Buchen umkränzet,
Dich umfleußt das heilige Meer, und waldige Hügel
Drängen kühn sich hervor, von schäumenden Wogen umrauschet!
Erde, harre ruhig der Stunde des besseren Lebens!
szo Samml' indessen in deinem Schoße die harrenden Kinder!
Siehe, noch werden dich oft die wechselnden Stunden umtanzen,
Dich mit blendendem Schnee und blühendem Grase noch kleiden!
Nimmer wirst du veralten! Im lächelnden Reize der Jugend
Werden plötzlich erbleichen die Sonnen, die Monde, die Erden;
Wenn die Sichel der Zeit in der Rechten des Ewigen schimmern
Und hinsinken wird, in einem rauschenden Schwunge,
Diese Garbe der Schöpfungen Gottes, die Wölbung des Himmels
Den wir seh'n, mit tausendmal tausend leuchtenden Sternen!
Matthias Claudius,
geboren 1740 zu Reinfeld bei Lübeck, lebte in Wandsbek, wo er eine vollkstümliche
Wochenschrift, den Wandsbeker Boten, herausgab. Er starb 1815 in Hamburg. (Vgl.
Neuland,. Teil III. S. 11: Der Winter. Teil IVV, S. 6: Abendlied.)
83. Rheinweinlied.
Gekürzt.)
Bekränzt mit Laub den lieben vollen Becher
Und trinkt ihn fröhlich leer!
In ganz Europia, ihr Herren Zecher,
Ist solch ein Wein nicht mehr!
Er kommt nicht her aus Ungarn, noch aus Polen,
Noch wo man franzmänn'sch spricht!
Da mag Sankt Veit, der Ritter, Wein sich holen,
Wir holen ihn da nicht.
Ihn bringt das Vaterland aus seiner Fülle;
Wie wär' er sonst so gut!
Wie wär' er sonst so edel, wäre stille,
Und doch voll Kraft und Mut!
Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben,
Gesegnet sei der Rhein!
Da wachsen sie am Ufer hin und geben
Uns diesen Labewein!
So trinkt, so trinkt, und laßt uns allewege
Uns freu'n und fröhlich sein!
Und wüßten wir, wo Jemand traurig läge,
Wir gäben ihm den Wein.