Full text: [Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband]] (Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband])

den Geschlechtern, und ihr hoffärtiges, eigenwilliges Wesen deuchte ihm 
ganz edel und sein. Überdies war Parteizucht dem Manne unbequem, 
dem jede Zucht mißfiel; er rührte sich nicht, wo er Hände voll Gold 
gewinnen konnte: wie sollte er sich rühren, wo vielleicht nur der Galgen 
zu gewinnen starü ~ _ • 
2. 
In jenen aufgeregten Tagen hatte Richwin einen prächtigen jungen 
Hund zum Geschenk erhalten, der mindestens doppelt so aufgeregt war 
wie die Wetzlarer Bürger und dreimal so eigensinnig wie sein Herr, 
einen großen schwarzen Wolfshund von spanischer Rasse, kaum drei viertel 
Jahr alt, noch ganz ungezogen, täppisch und allen Mutwillens voll. 
Der Hund hieß Thasso und machte seinem Namen Ehre, welcher 
einen Schläger oder Streiter bedeutet. Denn Streiten und Raufen 
ohne Ende war seine Lust, und obgleich er, höchst gutartig, fast nur im 
Spiel kämpfte, so war doch ein Spiel mit Thasso nicht jedermanns 
Vergnügen. Ging ein ehrsamer Bürger auffallend raschen Schrittes 
durch die Straße, flugs sprang Thasso hinterdrein und zupfte ihn neckisch 
am Wams, riß aber auch gleich einen handgroßen Fetzen Tuch mit 
herunter. Oder er sah ein Kind, so sprang er spielend zu ihm hin 
und warf es im ersten Anlauf mit seinen breiten Tatzen in die Gosse. 
Am ergötzlichsten aber war Thasso, wenn ein Reiter rasch vorbeitrabte. 
Gleich einem Raubtier setzte dann der Hund in Riesensprüngen dem 
' Pferde nach, umkreiste es, hüpfte ihm zum Kopfe hinauf, dann wieder 
zum Schweif, schnappte dem Reiter nach der Hand oder schlüpfte dem 
bäumenden Rosse unter dem Bauche durch, ohne jemals einen Huftritt, 
davonzutragen. Er biß nicht, er spielte bloß; aber die Pferde scheuten, 
wichen zurück, stiegen hoch auf oder gingen trotz Zügel und Schenkel 
gestreckten Laufes durch, als säße ihnen der Satan im Nacken. 
Rief dann Meister Richwin den Hund zurück, so hielt dieser augen¬ 
blicklich ein, blickte seinen Herrn an, als wollte er sagen: Ich kann's 
noch viel besser, und verfolgte drauf das Pferd mit verdoppelter Lust. 
Drohte und schalt Richwin aber gar, so verwandelte sich das Spiel des 
Hundes in Zorn, er bellte und biß und lief dann aus Furcht vor der 
Strafe davon, durchschwärmte die halbe Stadt, trieb unterwegs allerlei 
neuen Unfug und schlich erst spät und ganz heimlich nach Hause zurück. 
Nun erhielt er freilich seine Hiebe. Diese verstand der Hund jetzt aber 
falsch; denn da er die erste Ursache der Strafe längst vergessen hatte, so 
glaubte er, man prügle ihn, weil er nach Hause komme, und blieb das 
nächste Mal um so länger fort. 
Also nahm sich Meister Richwin vor, den Hund auf frischer Tat 
zu bestrafen. Da lies dann der Hund hinter dem Reiter her und 
Richwin hinter dem Hund. Endlich stand der Hund und ließ, tief 
zerknirscht, den Schwanz zwischen den Beinen, seinen Herrn herankommen. 
Porger-Lemp, Lesebuch. Vin. 12
	        
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