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ersten Begrüßungen, welche das neue Deutschland entgegenbrachte, als
wir, von Pont-ä-Mousson kommend, bei Pagny die deutsche Grenze über¬
schritten, waren nicht übermäßig erhebend. Da stand Präsident von
Kühlwetter in großer Uniform; hinter ihm zwei seiner Herren in ähn¬
licher Gala, 20 Mann Landwehr als ihre Leibgarde und als Chorus
für Rede und Hoch, welche der Präsident im Namen der neuen Lande
huldigend darbrachte; im Hintergrund schlichen einige Bewohner in
schmutzigem Gewände ohne Ahnung des großen Aktes, der vor sich ging.
Dabei regnete und schneite es, und das neue Deutschland sah sehr traurig
aus. Aber in uns war heller Jubel, und mit Ausnahme der drei
würdigen Herren vom Zivil, welche die Bedeutung des Augenblicks und
ihre eigene schwierige Stellung ernsthaft empfanden, waren die Beobachter
der Szene, wir Heimziehenden,, sehr zu einer humoristischen Auffassung
geneigt. Denn uns stand das Wiedersehen des heißgeliebten Vaterlandes
bevor, das Betreten der Heimat, deren Luft wir atmen müssen, um
wirklich zu leben. — Es wurde ein volles und reines Entzücken, da wir
die Grenze bei Saarbrücken überschritten. Die Blicke der Begrüßenden,
die Befriedigung, Freude und der Stolz, womit sie auf uns sahen —
das Herz ging einem auf, und manche Träne der Freude floß aus
unseren Augen. Und von jetzt begann ein Fest der Heimkehr, viel schöner
und gewaltiger, als im Jahre 1866, die getane Arbeit war auch schwerer
und gründlicher gewesen, die Erfolge völliger. — Welche Reden der neue
Kaiser überall erhalten, das haben Sie wohl in den Zeitungen gelesen,
aber was kein Blatt verkünden kann, das ist der Ausdruck, die stille
ergreifende Sprache in den Gesichtern der tausend und tausend Menschen,
welche zwei Tagefahrten lang überall am Wege standen. Jeder voll von
Hingabe und rührender Liebe und Dankbarkeit in Auge und Zügen.
Den Kaiser suchte jeder, und wenn sie ihn erkannt, dann wiesen sie mit
den Händen nach ihm: „Da, da ist er!" freudestrahlend, mit feuchtem
Blick riefen sie Hurra, warfen Hüte und Mützen und grüßten mit den
Tüchern. Der kleine Junge schwenkte die schwarz-weiß-rote Fahne; der
Greis schwenkte mit dem Feuer eines Jünglings den Hut, aber ihm
rannen die Tränen in den weißen Bart, er fühlte ganz anders, was
erfüllt war. Und dies wiederholte sich an jeder Bahnsperre, an jedem
Haltepunkt, aus jeder Station, uns schien das ganze deutsche Volk zum
Gruß an die Bahn geeilt, auf der wir so schnell dahinsausten. Es waren
überall dieselben Grüße, und gerade in ihrer endlosen Wiederholung er¬
hoben sie Gemüt und Gedanken ganz unbeschreiblich. Wir fuhren dahin
wie Selige, wie auf Engelsflügeln durch ein Reich des Glanzes und
der Liebe getragen. In der gehobenen Seele erhielten alle Erlebnisse
der letzten Vergangenheit die Klarheit und Lebendigkeit sichtbarer Bilder.
Neun Monate harter Kämpfe zogen durch den Sinn. Alles, was man
in diesem Feldzuge erlebt und gelernt, die Menschen und ungeheure