Full text: [Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband]] (Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband])

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ersten Begrüßungen, welche das neue Deutschland entgegenbrachte, als 
wir, von Pont-ä-Mousson kommend, bei Pagny die deutsche Grenze über¬ 
schritten, waren nicht übermäßig erhebend. Da stand Präsident von 
Kühlwetter in großer Uniform; hinter ihm zwei seiner Herren in ähn¬ 
licher Gala, 20 Mann Landwehr als ihre Leibgarde und als Chorus 
für Rede und Hoch, welche der Präsident im Namen der neuen Lande 
huldigend darbrachte; im Hintergrund schlichen einige Bewohner in 
schmutzigem Gewände ohne Ahnung des großen Aktes, der vor sich ging. 
Dabei regnete und schneite es, und das neue Deutschland sah sehr traurig 
aus. Aber in uns war heller Jubel, und mit Ausnahme der drei 
würdigen Herren vom Zivil, welche die Bedeutung des Augenblicks und 
ihre eigene schwierige Stellung ernsthaft empfanden, waren die Beobachter 
der Szene, wir Heimziehenden,, sehr zu einer humoristischen Auffassung 
geneigt. Denn uns stand das Wiedersehen des heißgeliebten Vaterlandes 
bevor, das Betreten der Heimat, deren Luft wir atmen müssen, um 
wirklich zu leben. — Es wurde ein volles und reines Entzücken, da wir 
die Grenze bei Saarbrücken überschritten. Die Blicke der Begrüßenden, 
die Befriedigung, Freude und der Stolz, womit sie auf uns sahen — 
das Herz ging einem auf, und manche Träne der Freude floß aus 
unseren Augen. Und von jetzt begann ein Fest der Heimkehr, viel schöner 
und gewaltiger, als im Jahre 1866, die getane Arbeit war auch schwerer 
und gründlicher gewesen, die Erfolge völliger. — Welche Reden der neue 
Kaiser überall erhalten, das haben Sie wohl in den Zeitungen gelesen, 
aber was kein Blatt verkünden kann, das ist der Ausdruck, die stille 
ergreifende Sprache in den Gesichtern der tausend und tausend Menschen, 
welche zwei Tagefahrten lang überall am Wege standen. Jeder voll von 
Hingabe und rührender Liebe und Dankbarkeit in Auge und Zügen. 
Den Kaiser suchte jeder, und wenn sie ihn erkannt, dann wiesen sie mit 
den Händen nach ihm: „Da, da ist er!" freudestrahlend, mit feuchtem 
Blick riefen sie Hurra, warfen Hüte und Mützen und grüßten mit den 
Tüchern. Der kleine Junge schwenkte die schwarz-weiß-rote Fahne; der 
Greis schwenkte mit dem Feuer eines Jünglings den Hut, aber ihm 
rannen die Tränen in den weißen Bart, er fühlte ganz anders, was 
erfüllt war. Und dies wiederholte sich an jeder Bahnsperre, an jedem 
Haltepunkt, aus jeder Station, uns schien das ganze deutsche Volk zum 
Gruß an die Bahn geeilt, auf der wir so schnell dahinsausten. Es waren 
überall dieselben Grüße, und gerade in ihrer endlosen Wiederholung er¬ 
hoben sie Gemüt und Gedanken ganz unbeschreiblich. Wir fuhren dahin 
wie Selige, wie auf Engelsflügeln durch ein Reich des Glanzes und 
der Liebe getragen. In der gehobenen Seele erhielten alle Erlebnisse 
der letzten Vergangenheit die Klarheit und Lebendigkeit sichtbarer Bilder. 
Neun Monate harter Kämpfe zogen durch den Sinn. Alles, was man 
in diesem Feldzuge erlebt und gelernt, die Menschen und ungeheure
	        
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