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3. Wie das Sprichwort die frische That ehrt.
W. H. Riehl: „Die deutsche Arbeit“. 3. Aufl. 1883, Stuttgart, J. G. Cotta.
(W. H. Riehl, ein geistvoller, kulturhistorischer Schriftsteller, war geboren
am 6. Mai 1823 zu Biebrich, wurde von König Max II. 1853 als Professor
an die Universität München berufen, wo er bis zu seinem Tode [I16. No—
vember 1897] als einer der beliebtesten und bedeutendsten Lehrer wirkte. Von
1885 ab bekleidete er zwanzig Jahre lang auch die Stelle eines Direktors
des bayrischen Nationalmuseums und eines Generalkonservators der Kunst—
denkmäler und -Altertümer Bayerns.)
Voll tieferen Sinnes bilden unsere Sprichwörter eim er—
hebendes und erläuterndes Gegenstück zu den Liedern. Viel
mehr als das Volkslied ist das Sprichwort Gemeingut aller
Stände, und selbst die Bücherweisheit der Schriftsteller hat bei
der Prägung unzähliger Sprichwörter merklichen Einfluß ge—
übt. Es ist in vielen Fällen gar nicht mehr zu ermitteln, ob
das geflügelte Wort eines Schriftstellers Sprichwort geworden
ist, oder ob ihm ein älteres verklungenes Sprichwort sein
geflügeltes Wort eingegeben hat. Begeben wir uns daher
von den rohen Arbeitsliedern des Volkes zu dessen Arbeits—
sprüchen, so vermeinen wir schon in eine gebildetere Gesellschaft
zu treten.
Gar oft wird im lebhaften Spruch zur Arbeit ermahnt
und der Segen des Fleißes gepredigt. Es scheiden sich aber
diese Sprüche in zwei große Gruppen: die eine ermuntert
zur rührigen That, die andere warnt vor Arbeit um
des Gewinnes willen, vor Habsucht und Geldgier.
Mit den ermunternden Arbeitssprüchen sind wir von Kind
auf so übersättigt worden, daß sie uns häufig alles Salz verloren
haben; wir lernen daran buchstabieren und schönschreiben, und
wie man sie jetzt in die Schulbücher druckt, so malte man sie
vordem auf Töpfe, Bürsten, Schreine und Kisten. Viele dieser
Sprüche sind dazu im vorigen Jahrhundert verwässert worden
durch umschreibende Reimereien der aufklärenden Moralpredi—
ger, welche gerade hier eine gemähte Wiese fanden. Trotzdem
springt uns noch die Fülle neu und reizvoll gefaßter alten
Weisheit entgegen.
Greifen wir frisch hinein, wie die Sprüche zum herzhaften
Anfassen mahnen: „Frisch gewagt ist halb gewonnen!“ „Mor—
gen, morgen, spricht der Faule!“ und die Dorfwirte zeigen ihm,
welcher — hinter dem „morgen“ lauert, wenn sie auf
ihre Schilder schreiben: „Wer heute zecht, der zahle bar, wer
morgen kommt, ist zechfrei!“ „Arbeit gewinnt das Feuer aus
dem Stein.“ „Rast' ich, dann rost' ich,“ wie Luther sprach.