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ein auf seinen rastlosen Wanderzügen aufgelesenes Kristallbruch-
stück, eine zierliche Versteinerung oder eine Schnur aufgereihter
Perlen aus Zähnen, Bein oder Bernstein sind die ersten Erzeugnisse
menschlichen' Kunstfleißes im Dienst einfacher Schönheitspflege
und einer uranfänglichen Kunst. In dem Maße, wie der Mensch
auf der steilen Leiter der Kultur und Bildung fortschreitet, nimmt
auch seine Vorliebe für Schmuck und Zierat zu, und noch ehe er
sich die Metalle dienstbar gemacht, ehe er selbst das Waschgold kennen
gelernt hat und dasselbe zu schmieden und zu verarbeiten fähig
geworden ist, finden wir ihn im Besitze von allerlei Zierat, besonders
aus dem Mineralreich. Die Steine mit ihrer Härte und Wider¬
standsfähigkeit eigneten sich eben, falls sie im übrigen durch kräf¬
tige Farbe und äußere Schönheit auffielen, mehr zu dauernden:
Schmuck als die meist vergänglichen Erzeugnisse der andern Natur¬
reiche.
Die Wertschätzung der Mineralien, die wir als Edel- und
Schmucksteine bezeichnen, hat aber noch eine andere Quelle. Eng
verbunden mit der Empfindung für die Schönheit dieser Natur¬
gegenstände können wir bis in die ältesten Zeiten hinein Vorstel¬
lungen verfolgen, die noch heute nicht vollkommen abgestorben
sind, Vorstellungen, die in den großen Kreis des Aberglaubens
gehören. Der Zug, der durch die gesamte Geschichte der Menschheit
geht, Naturkörper als beseelte Wesen sich vorzustellen, hat auch
die zum Schmuck dienenden Stoffe von jeher umfaßt. Ein seltener
Stein mußte auch seltene Eigenschaften haben, ein schöner Stein
mußte dem Träger Glück bringen und so finden wir denn seit Urzeiten
mit dem Tragen seltener Mineralien die Idee einer Einwirkung
derselben auf den Träger verknüpft. Im Volksaberglauben sind
diese Vorstellungen noch immer lebendig. Sie finden sich in den
Namen der Edelsteine vielfach wieder und noch heute kann man
hören, daß der Opal dem Träger Unglück bringe und daß ein farb¬
loser Diamant ihn widerstandsfähig gegen Furcht und glücklich in
seinen Unternehmungen mache.
Sind auch die Schmuckmaterialien heute äußerst mauuig-
faltiger Art, so nehmen doch unter ihnen die Schmucksteine und be¬
sonders das, was wir unter dem Namen-der Edelsteine zusammen¬
fassen, einen wichtigen Platz ein. Das ist vollkommen begreiflich,
denn das edle Metall ist als solches eine Masse, von der jedes Stück
an sich so gut ist wie das andere; erst durch die Verarbeitung ge-