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47. Der Mönch von Heisterbach.
5. Da ward das zürnende Wort gelähmt;
vor der edlen Herrin steht er beschämt;
Vergebung erfleht von ihr sein Blick;
Vergebung lächelt sie sanft zurück.
6. Es geht und es fliegt ihres Auges Strahl
froinm dankbar empor zu dein Himmelssaal;
dann hat sie zum Thal sich hinabgewandt
und die Armen gespeist mit milder Hand.
47. Der Mönch von Heisterbach.
Von Wolfg. Müller.
Gedichte. Frankfurt o. ä)c. 1847. S, 158.
1. Ein junger Mönch im Kloster Heisterbach
lustwandelt an des Gartens fernstem Ort;
der Ewigkeit sinnt still und tief er nach
und forscht dabei in Gottes heil'gem Wort.
2. Er lieft, was Petrus, der Apostel, sprach:
„Dem Herren ist ein Tag wie tausend Jahr',
und tausend Jahre sind ihm lvie ein Tag." —
Doch lvie er sinnt, es lvird ihm nimmer klar.
3. Und er verliert sich zweifelnd in den Wald;
was um ihn vorgeht, hört und sieht er nicht.
Erst wie die fromme Besperglocke schallt,
gemahnt es ihn der ernsten Klosterpflicht.
4. Im Lauf erreichet er den Garten schnell;
ein Unbekannter öffnet ihni das Thor;
er stutzt, — doch sieh, schon glänzt die Kirche hell,
und draus ertönt der Briider heil'ger Chor.
5. Nach seinem Stuhle eilend tritt er ein. —
doch wunderbar — ein andrer sitzet dort;
er überblickt der Mönche lange Reihn:
nur Unbekannte findet er am Ort.
0. Der Staunende lvird angestaunt ringsum:
inan fragt nach Namen, fragt nach dem Begehr:
er sagt's; da murmelt man durchs Heiligthum:
„Dreihundert Jahre hieß so niemand mehr."
7. „Der letzte dieses Namens," tönt es dann,
„er war ein Zweifler und verschwand int Wald;
man gab den Namen keinem mehr fortan."
Er hört das Wort, es überläuft ihn kalt.