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hat fällen sehen, wer es weiß, wie die grüne Fichte sich zornig
zurückbeugt, wie ihr goldenes Blut aus klaffender Wunde träufelt,
dem wird es zu Mute sein, als ob der angegriffene Baum lebendig
würde in seiner letzten Stunde, als ob er sich zur Wehr setzte und
fühlte, was ihm begegnet. Seine grünen Arme sind ohnmächtig
vor dem bewaffneten Arm des Menschen, stöhnend bricht er
nieder, doch seine Kraft gibt er dem zum Erbe, der ihn erschlagen
hat. So kommt jener baumstarke Wuchs und jener kühne Sinn
in diese Gestalten, die mit offener Brust und schallender Axt
durch die Berge gehen. Wäre der Bauer im bayerischen Hoch¬
land tiut auf seine häusliche Arbeit beschränkt, so würde jene
Kühnheit gar bald sich abschwächen, besonders seit er auch äußer¬
lich in leidlichem Wohlstände lebt; aber gerade dieser Bestand¬
teil seines Schaffens: die Almen, die Jägerei, die Holzarbeit,
vermitteln den Zusammenhang der Bewohner mit dem rauhen,
ursprünglichen Element des Waldes, in ihnen liegt die ver¬
jüngende, fast möchte ich sagen, die verwildernde Kraft, die das
Volk der Berge zum Bergvolk macht.
Der Bauer nennt das, was wir hier so eirigefjeub aus¬
einandersetzen, mit einem kurzen Wort „die Schneid". „Schneid
haben" ist das erste und letzte Erfordernis, wenn man im Hoch¬
land etwas gelten will. „Wenn b' kein Schneid nit hast, na bist
nit gschatzt", kann man dort auf allen Wegen hören. Sie wird
höher als Geld und Gut geachtet, wie dies aus manchen Volks¬
liedern durchklingt:
„Und 's Dirndl hat g'sagt:
Was bist für einer,
Bal'st kein schneidiger bist,
Ist mir lieber keiner."
Ter kecke Bursch aber erwidert:
„Und der Teufel hat Hörndl,
Und ich hab' mei Deandl,
Und dös Deandl mag mi',
Weil i a Hauptspitzbua bi'."
Der ganze jubilierende Sangeston, der durch dies Volksleben
hinzieht, wird von diesem Frohgefühl der Kraft und der Kühnheit