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vom Hufe umschlossen kaum noch als lebendige Gliedmaßen erkenn¬
bar; die auf der Zehe schreitende Pranke des Löwen, die platte
Sohle des Bären, beide voll schreckenerregender Stärke, doch
beide ohne jedes feinere Gefühl; plötzlich in der Fledermaus die
erste Hand, aber eine monströse Flügelhand, deren Finger dem
gespenstigen Halbvogel allerdings ein so bewunderungswürdiges
Feingefühl verleihen, daß er, selbst geblendet und des Gehörs
beraubt, mit unbeirrter Sicherheit umherfliegt, die aber doch,
unfrei wie sie sind, weder zu greifen uod) zu tasten vermögen;
endlich und unmittelbar an der Schwelle des Tierreichs: das -
grinsende Zerrbild des Menschen mit scheinbar vier Händen auf
einmal. Aber eben nur eine Affenhand, eine Fußhand, lang
behaart, unbehilflich schmal, mit kurzen Fingern und verstüm-
meltem Daumen. Wir sehen — es bedarf keines Zeugnisses
weiter — die menschliche Hand ist allein die wahre und schöne
Hand. Ihre Macht liegt in ihrer entgegengesetzte Kräfte harmo¬
nisch verbindenden Doppelnatur, ihre Schönheit in dem Ebenmaß
der Gestalt, die fern von allen Extremen jeden tierischen Rest
abgestreift hat und unter der Hülle einer zarten, feinen, gleichsam
atmenden Haut das reichste Nervenleben und die feinste Musku¬
latur halb zeigt und halb verschleiert.
Hermann Masius.
32. Der Schnee.
Kein Naturereignis wird von der Jugend freudiger begrüßt
als der Schnee. Wie jubeln Knaben und Mädchen, wenn sie
morgens beim Erwachen „alles weiß" erblicken! Wie freuen sie
sich darauf ins Freie zu gehen, um den Schlitten zu versuchen
und wenigstens ihre Fußstapfen in den weichen Teppich zu drücken!
Wie drängt es die Knaben das bildsam gewordene Wasser zu
Wurfgeschosseu und zu Bildsüuleu zu verarbeiten!
Ein langersehnter Regen wird mit Dankbarkeit als milde
Wohltat begrüßt, ein Regenbogen, ein prächtiges Morgen- oder
Abendrot wird als wunderbare Schönheit angestaunt, das herr¬
liche Nordlicht, der wilde Herbststurm, das majestätische Ge¬
witter werden mit bangem Schauer beobachtet; aber mit Freuden-