Full text: [Teil 7 = (Für Prima)] (Teil 7 = (Für Prima))

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Wilhelms I. nur halb gelungen war. Das alte Geschlecht, das die Federfuchser 
verhöhnte, starb hinweg, der junge Nachwuchs kannte und achtete die Macht 
des Wissens. 
Allen diesen Reformen lag der Gedanke zu Grunde, daß die Armee fortan 
das Volk in Waffen sein solle, ein nationales Heer, dem jeder Wehrfähige an¬ 
gehöre. Die Werbung wurde abgeschafft, die Aufnahme von Ausländern ver¬ 
boten, nur einzelne Freiwillige von deutschem Blute ließ man zu. Die neuen 
Kriegsartikel und die Verordnung über die Militärstrafen hoben sogleich mit 
der Verheißung an, künftig würden alle Untertanen, auch junge Leute von 
guter Erziehung, als gemeine Soldaten dienen, und begründeten damit die 
Notwendigkeit einer milderen Behandlung der Mannschaft. Über die Ver¬ 
werflichkeit der alten Befreiungen vom Waffendienste waren alle denkenden 
Offiziere einig. Der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht war schon vor dem 
Kriege von Boyen, Lofsau und anderen Offizieren verteidigt, von dem Könige 
selbst reiflich erwogen worden; während des unglücklichen Feldzuges hatte 
er dann in der Stille feinen Weg gemacht, und jetzt war jedem einsichtigen 
Soldaten klar, daß der ungleiche Kampf nur mit dem Aufgebote der gesamten 
Volkskraft wieder aufgenommen werden konnte. Gleich nach dem Frieden 
bat Blücher seinen lieben Scharnhorst „vor einer National-Armee zu sorgen, 
niemand auf der Welt muß eximiert fein, es muß zur Schande gereichen, 
wer nicht gedient hat". Prinz August sendete noch aus der Kriegsgefangenschaft 
einen Plan für die Neubildung des Heeres, worin die allgemeine Wehrpflicht 
als leitender Gedanke obenan stand. Scharnhorst aber wußte, was die meisten 
der Zeitgenossen ganz vergessen hatten, daß damit nur ein altpreußifcher Grund¬ 
satz erneuert wurde. Er erinnerte den König daran, sein Ahnherr Friedrich 
Wilhelm I. habe zuerst unter allen Fürsten Europas die allgemeine Kon¬ 
skription eingeführt; dieser Grundsatz habe Preußen einst groß gemacht und 
sei in Österreich und Frankreich nur nachgeahmt worden; jetzt erscheine es ge¬ 
boten, zu dem altpreußischen Systeme zurückzukehren und den Mißbrauch der 
Exemtionen kurzerhand hinwegzufegen; nur so bilde sich eine wahre stehende 
Armee, eine solche, die man jederzeit in gleicher Größe erhalten könne. Fast 
genau mit den Worten des alten Soldatenkönigs begann Scharnhorst seinen 
Entwurf für die Bildung einer Reservearmee also: § 1. Alle Bewohner des 
Staates sind geborene Verteidiger desselben. 
Die preußischen Offiziere faßten den Gedanken der allgemeinen Dienst¬ 
pflicht von Haus aus in einem freieren und gerechteren Sinne auf als vormals 
die Bourgeois der französischen Direktorialregierung. Die Besiegten dachten zu 
stolz, um die Institutionen des Siegers einfach nachzuahmen. Man hatte es 
ertragen, daß der Befehl des Königs einzelne Volksklassen kraft ihrer Standes¬ 
privilegien oder aus volkswirtschaftlichen Rücksichten von der Kantonspflrcht 
befreite. Aber die Vorstellung, daß der Bemittelte sich von der Dienstpflicht 
loskaufen, ein Untertan für den anderen seine Haut zu Markte tragen solle, 
war ganz und gar unpreußisch, widersprach allen Traditionen der Armee. Das
	        
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