21 a. Der Zusammenbruch des Römerreichs und der alten Kultur. 61
schern, dem Princeps und dem Senat, die Ausschreitungen und Toll¬
heiten einzelner Kaiser, die für die volkstümliche Anschauung den
Inhalt der Geschichte dieser Zeit bilden, sind für die Gesamtheit des
Reiches doch nur von recht oberflächlicher Bedeutung. Das Ergebnis 50
dieser Epoche ist aber der völlige Zusammenbruch nicht nur des Reichs
sondern der Kultur im 3. Jahrhundert.
II.
Es ist bekannt, daß der Untergang des römischen
Reiches nicht etwa durch den Einbruch der Barbaren herbeigeführt
ist. Erst als das Reich innerlich bereits völlig zersetzt war, haben die 55
Barbaren, die es selbst hereingerufen, denen es das Schwert in die
Hand gegeben hatte, ihm die westlichen Provinzen entrissen. Ebenso¬
wenig tragen die großen und verheerenden Kriege des 3. Jahrhunderts
Schuld an dem gewaltigen Rückgang des Wohlstandes und der Be¬
völkerung, an der Verödung des Reiches und der Rückkehr zur Barbarei. <50
Natürlich haben sie ihn mächtig gefördert; aber vorhanden war er
schon vorher, und gerade umgekehrt sind die Kriege und die aus¬
brechende Anarchie eine Folge desselben, ein Merkmal der eingetretenen
Zersetzung. Der einzigartige Vorgang, um den es sich handelt, ist viel¬
mehr die Auflösung einer aufs höchste gesteigerten K u l t u r 65
von innen heraus, mitten in völlig geordneten inneren Verhältnissen,
ohne jeden ernsthaft in Betracht kommenden äußeren Feind. In der
Zeit der Antonine, die als glücklichste Epoche der Weltgeschichte bezeich¬
net zu werden pflegt, treten die Anzeichen des Zersetzungsprozesses
bereits auf allen Gebieten hervor, im 3. Fahrhundert vollzieht sich dann 70
von innen heraus die gewaltige Katastrophe, der Untergang des antiken
Staates, das Ende der alten Geschichte. Der allgemeine Grund ist
die Steigerung und allgemeine Verbreitung der antiken Kultur, die
ihr Absterben herbeiführt. Auch hier bewährt sich der allgemeine Er¬
fahrungssatz, daß die Kultur je breiter desto flacher wird. Die g e i st i g e 75
Kultur lebt sich aus, weil ihr keine neuen Aufgaben mehr gestellt
sind, weil alle großen, die Geister in der Tiefe bewegenden Fragen
entweder als gelöst oder als endgültig unlösbar erscheinen; die allgemeine
Bildung wird immer geringer an Gehalt, je verbreiteter sie wird.
Die Literatur läuft aus in die flachsten Erzeugnisse und in immer kürzer 30
werdende Handbücher und Sammelwerke zu bequemem Handgebrauch.
Die Kunst geht nach den großen Schöpfungen der trajanisch-hadriani-
schen Zeit furchtbar raschem Verfall entgegen.
Die Folge ist, daß die Gebildeten die Führung verlieren, die sie
auf geistigem Gebiet seit dem 5. Jahrhundert der Stadt, seit der Los-35
lösung der Bildung von der volkstümlichen Anschauung, von Glauben
und Sitte der Vorfahren gewonnen hatten. An Stelle der Aufklärung
und der Philosophie tritt die aus den unteren Massen hervorgehende