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er sie wieder aufgenommen. Jetzt aber kommt die Abspannung,
und seine Kräfte versagen ihm! . . . Ob ich ihn wecke? Er
versprach mir, mit hinauszugehen, damit er auch einmal
wieder die Vöglein singen höre; nur noch wenige Augenblicke
solle ich ihm lassen, damit er morgen die fertige Arbeit dem
Martin Ketzel zeigen könne. Nun ist er darüber eingeschlafen!.."
Sie lenkte nochmals ihren Blick auf die Steingruppe.
,,Doch was sollte hier noch fehlen? Es ist so schön, so überaus
rührend! Adam muß aufhören zu bessern, er muß mit mir
hinaus auf die Flur!“ Leise berührte sie mit der Hand sein
herabgesunkenes Haupt: „Du wolltest mich bei einem Abend¬
spaziergange begleiten!" Jäh fuhr er auf, strich sich mit der
Rechten über die Stirne, blickte erstaunt auf die Gattin und
fragte: ,,Habe ich lange geschlafen?“ — ,,Längst sind die Gesellen
fortgegangen, und die Sonne senkt sich hinab; dennoch, fürcht’
ich, hast du noch vor kurzem gearbeitet, und nur Übermüdung
beugte zuletzt eine kleine Weile dein Haupt!“
Er hatte sich vom Stuhle erhoben. ,,Ich komme mit
dir, Magdalena; was noch fehlt, arbeite ich in der Frühe des
kommenden Morgens.“ Und er schickte sich an, die Werkstatt
zu verlassen.
Da ward draußen gepocht, und Martin Ketzel trat ein:
„Nicht konnt’ ich die Zeit bis zum kommenden Tage erwarten,
da Ihr mir sagtet, daß Euer Werk nahezu fertig sei; ich mußte
es noch heute sehen! Hoffentlich störe ich Euch nicht.“
Flüchtig reichte er dem Künstler die Hand und trat, ohne
eine Antwort zu erwarten und die junge Frau zu beachten,
vor die Kreuzigungsgruppe, auf welcher, wenn auch allmählich
verbleichend, noch immer der Schimmer der untergehenden
Sonne ruhte.
„Kyrie eleison, Christe eleison!“ entströmte es betend
seinem Munde, und zugleich war er auf die Kniee gesunken, von
dem Werke des Künstlers überwältigt. Schweigend standen
die beiden zur Seite. Die Plötzlichkeit und die Stärke des
Eindruckes, den der Greis von dem Bildwerk gewonnen hatte,
ergriff auch sie. Magdalena hatte wie vordem die Hände
gefaltet, und ihre Lippen bewegten sich im stillen Gebete;