Full text: [Band 3 = 3. Schuljahr, [Schülerband]] (Band 3 = 3. Schuljahr, [Schülerband])

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Landschaft schweifen. Da drüben schlängelte sich rauschend der Anio 
durchs fruchtreiche Tibur; er ist ein wilder Geselle, ein echter Sohn 
des Gebirges. Ganz im Hintergründe blauen in sanften Wellen¬ 
linien die Höhen eines Bergzuges der Abruzzen. Seitwärts schauend 
kann man den Lauf des Anio verfolgen, bis er hinter den blühenden 
Obstgarten verschwindet. Es liegt ein zarter Duft über der herr¬ 
lichen Gegend. Alles ringsum ist ruhig; nur die Zikade im Ge¬ 
zweige des Lorbeerbaums zirpt ihr Lied und hie und da huscht 
Zwitschernd ein Vögelein vorbei. Die andern alle haben sich im 
Laub verborgen, denn die Sonne sendet glutheiß ihre Goldstrahlen 
auf die Erde nieder. 
Mit einem salbungsvollen Ave betritt der Bote das Gemach. 
„Was bringst du mir für eine Nachricht, Knabe?" sprach Torquatus. 
„Gajus Lentulus entbietet dir seinen Gruß, mein Herr; beim letzten 
Strahl der Sonne wird er mit Bassianus und Fabius erscheinen," 
erwiderte der Junge. Ein Wink seines Herrn entließ ihn wieder. 
Er war eben daran den Vorhang hinter sich fallen zu lassen, als 
Torquatus rief: „Hole mir den Geta!" Der Knabe verneigte sich 
und ging. Alsbald trat Geta, der Lyraspieler, herein, wie ein 
Orpheus phantastisch gekleidet, mit einer goldenen Stirnbinde an¬ 
getan; um die Schultern hatte er an einer silbernen Schnur seine 
reichverzierte Lyra hängen. 
„Rüste dich, Geta, für die Mahlzeit! du sollst während der- 
lelben meine Freunde mit scherzenden Liedern ergötzen; vergiß mir 
insbesondere nicht anakreontische Weisen zu singen!" Der Sklave 
nickte und verließ auf einen Wink des Gebieters das Gemach. 
D. 
Der Abend war herangerückt. Der rotaufleuchtende Sonnen¬ 
ball badete sich in den goldschimmernden Fluten des tosenden Anio 
und verschwand dann hinter den dunklen Wäldern. Ein unbeschreib¬ 
licher Wohlgeruch durchzog die frische Abendluft und tausendstimmige 
Lieder wurden in den Zweigen der hohen Platanen wach. Da er¬ 
schollen im Hofraume die fröhlichen Stimmen der Freunde unseres 
Torquatus. Sie waren soeben auf einem hohen, zweirädrigen Wagen 
angefahren und die Sklaven beeilten sich die flüchtigen Renner ab¬ 
zuschirren. Torquatus, der ihnen entgegengegangen, bewillkommnete 
sie. „Sei gegrüßt, Gastfreund!" riefen sie und boten ihm die Hand. 
Torquatus reichte jedem freundlich die Rechte und hieß sie ihm in
	        
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