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52. Schäfers Sonntagslied.
Das ist der Tag des Herrn!
Ich bin allein auf weiter Flur;
Noch eine Morgenglocke nur,
Nun Stille nah und fern.
Anbetend knie ich hier.
O süßes Grau'n, geheimes Weh'n,
Als knieten viele ungeseh'n
Und beteten mit mir!
Der Himmel nah und fern,
Er ist so klar und feierlich,
So ganz, als wollt' er öffnen sich.
Das ist der Tag des Herrn'
53. Ausfahrt.
L. Uhland.
Berggipfel erglühen,
Waldwipfel erblühen,
Vom Lenzhauch geschwellt;
Zugvogel mit Singen
Erhebt seine Schwingen,
Ich fahr' in die Welt.
Mir ist zum Geleite
In lichtgoldnem Kleide
Frau Sonne bestellt;
Sie wirft meinen Schatten
Auf blumige Matten,
Ich fahr' in die Welt.
Mein Hutschmuck die Rose,
Mein Lager im Moose,
Der Himmel mein Zelt:
Mag lauern und trauern,
Wer will, hinter Mauern,
Ich fahr' in die Welt.
V. Scheffel.
54. Himmelsnähe.
In meiner Firne feierlichem Kreis
Lagr' ich am schmalen Felsengrate hier,
Aus einem grünerstarrten Meer von Eis
Erhebt die Silberzacke sich vor mir.
Der Schnee, der am Geklüfte hing zerstreut,
In hundert Rinnen rieselt er davon
Und aus der schwarzen Feuchte schimmert heut
Der Soldanelle zarte Glocke schon.
Bald nahe tost, bald fern der Wasserfall,
Er stäubt und stürzt, nun rechts und links verweht,
Ein tiefes Schweigen und ein steter Schall.
Ein Wind, ein Strom, ein Atem, ein Gebet!
Nur neben mir des Murmeltieres Pfiff,
Nur über mir des Geiers heisrer Schrei;
Ich bin allein auf meinem Felsenriff
Und ich empfinde, daß Gott bei mir sei.
C. F. Meyer.