2
Sind wir nicht Brüder und Boten eines Vaters?“ So sprach er. Da
glänzte das Auge des Todesengels, und zärtlicher umfingen sich die
brüderlichen Genien. P. A. Krummacher.
2. Brei Freunde.
Traue keinem Freunde, worin du ihn nicht geprüft hast; an der Tafel
des Gastmahls gibt es deren mehr als an der Tür des Kerkers.
Ein Mann hatte drei Freunde; zwei davon liebte er sehr, der dritte
war ihm gleichgültig, ob dieser es gleich am redlichsten mit ihm meinte.
Einst ward er vor Gericht gefordert, wo er unschuldig, aber hart verklagt
war. „Wer unter euch", sprach er, „will mit mir gehen und für mich
zeugen? Denn ich bin hart verklagt worden, und der König zürnt." Der
erste seiner Freunde entschuldigte sich sogleich, daß er nicht mit ihm gehen
könne wegen anderer Geschäfte. Der zweite begleitete ihn bis zur Türe
des Richthauses; da wandte er sich und ging zurück aus Furcht vor dem
zornigen Richter. Der dritte, auf den er am wenigsten gebaut hatte, ging
hinein, redete für ihn und zeugte von seiner Unschuld so freudig, daß der
Richter ihn losließ und beschenkte.
Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt; wie betragen sie sich in
der Stunde des Todes, wenn ihn Gott vor Gericht fordert? Das Geld,
sein bester Freund, verläßt ihn zuerst und geht nicht mit ihm. Seine
Verwandten und Freunde begleiten ihn bis zur Tür des Grabes und
kehren wieder in ihre Häuser. Der dritte, den er im Leben oft am meisten
vergaß, sind seine wohltätigen Werke. Sie allein begleiten ihn bis zum
Throne des Richters; sie gehen voran, sprechen für ihn und finden Barm¬
herzigkeit und Gnade. i Herder.
3. Der Gnade und die Schlange.
Ein Knabe spielte mit einer zahmen Schlange.
„Mein liebes Tierchen," sagte der Knabe, „ich würde mich mit dir so
gemein nicht machen, wenn dir das Gift nicht genommen wäre. Ihr
Schlangen seid die boshaftesten, undankbarsten Geschöpfe! Ich habe es
wohl gelesen, wie es einem armen Landmanne ging, der eine, vielleicht von
deinen Urvätern, die er halb erfroren unter einer Hecke fand, mitleidig
aufhob und in seinen erwärmenden Busen steckte. Kaum fühlte sich die
Böse wieder, als sie ihren Wohltäter biß; und der gute freundliche Mann
mußte sterben.
„Ich erstaune," sagte die Schlange. „Wie parteiisch eure Geschicht¬
schreiber sein müssen! Die unsrigen erzählen diese Historie ganz anders.
Dein freundlicher Mann glaubte, die Schlange sei wirklich erfroren, und
i