Full text: [Teil 3 = Quarta, [Schülerband]] (Teil 3 = Quarta, [Schülerband])

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Sabbat erscheinen die schwarzseidenen Kaftane der Juden, und am Sonn- 
tage jubeln die Scharen der Christen hinaus. An großen Staatsfesten 
aber, den sogenannten „Kaiserlichen Tagen", erscheinen dann alle Trachten, 
alle Farben und alle Moden, die von Paris bis Peking gang und gäbe 
sind. Es ist, als wenn Noahs Arche an der Newa gestrandet wäre und 
sich hier ihres bunten Inhalts entledigt hätte. Nach I. G. Kohl. 
69. Fahrt von Lonstantinopel auf dem Bösporus nach MMdere. 
Konstantinopel, 3. Dezember 1835. 
Nachdem wir eine Nacht in Pera geruht, setzten wir uns in einen 
der äußerst zierlichen, leichten Nachen, welche zu Hunderten im Hafen, 
dem Goldenen Horn, herumfahren. Die Ruderer sitzen schon fertig und 
warten. Sobald man sich entschieden, wem man den Vorzug geben will. 
und unten auf dem Boden des schwankenden Fahrzeuges Platz genommen, 
versetzen ein paar Ruderschläge den Nachen aus dem Getümmel der War¬ 
tenden hinaus ins Freie. 
Aber wie soll ich den Zauber schildern, welcher uns jetzt umfing! 
Aus dem rauhen Winter waren wir in den mildesten Sommer, aus einer 
Einöde in das regste Leben versetzt. Die Sonne funkelte hell und warm 
am Himmel, und nur ein dünner Nebel umhüllte durchsichtig den feen¬ 
haften Anblick. Zur Rechten hatten wir Konstantinopel mit seiner bunten 
Häusermasse, über welche zahllose Kuppeln, die kühnen Bogen einer Wasser¬ 
leitung, große steinerne Hanns *) mit Bleidächern, vor allen aber die himmel¬ 
hohen Minaretts emporsteigen, welche die sieben riesengroßen Moscheen 
der Stadt umgeben. Das alte Serails streckt sich weit hinaus ins Meer 
mit seinen phantastischen Kiosken*) und Kuppeln, mit schwarzen Zypressen 
und mächtigen Platanen. Der Bosporus (eben die Meeresenge von Kon¬ 
stantinopel) wälzt gerade auf die Spitze zu seine Fluten, welche sich schäumend 
am Fuße der alten Mauer brechen. Dahinter breitet sich die Propöntis 
(das Marmorameer) mit ihren Inselgruppen und felsigen Küsten aus. 
Der Blick kehrt aus dieser duftigen Ferne zurück und heftet sich auf die 
schönen Moscheen von Skutari, der asiatischen Vorstadt, auf den Mädchen¬ 
turm, welcher zwischen Europa und Asien aus der tiefen Flut auftaucht, 
auf die Höhen, welche noch mit frischem Grün prangen, und auf die weiten 
Begräbnisplätze im Dunkel der Zypressenwälder. 
Wir eilten zwischen großen Kauffahrern mit den Wimpeln aller 
Nationen und riesenhaften Linienschiffen hindurch aus dem Goldenen Horn 
in den Bosporus. Zahllose Nachen glitten in allen Richtungen über 
das unbeschreiblich klare, tiefe Wasser; jetzt wendeten wir uns links um 
1) Türkische Gasthäuser. — 2) Schlanke Türme 
3) Des Sultans Kaiserpalast. — 4) Eine Art Gartenhaus.
	        
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