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Und auf der letzten — er blickt empor
Auf Orgel und auf Orgelchor
Und wendet sich und spricht: „Wie gern
Vernähm' ich noch einmal 'Lobe den Herrn!'
Den Lehrer im Feld, ich mag ihn nicht stören;
Vicky*), laß du das Lied mich hören!"
Und durch die Kirche, klein und kahl, io
Als sprächen die Himmel, erbraust der Choral;
Und wie die Töne sein Herz bewegen,
Eine Lichtgestalt tritt ihm entgegen,
Eine Lichtgestalt, an den Händen beiden
Erkennt er die Male: „Dein Los war leiden, 20
Du lerntest dulden und entsagen,
Drum sollst du die Krone des Lebens tragen!
Du siegtest, nichts soll dich fürder beschweren:
Lobe den mächtigen König der Ehren!"
Die Hände gefaltet, den Kopf geneigt, 25
So lauscht er der Stimme.
Die Orgel schweigt.
Theodor Fontane.
II. Lyrische Dichtung.
55. Grüß Gott!
1. „Grüß Gott!" aus deutschem
Wie herzig klingt der Gruß! Munde
Auf heimatlichem Grunde
Fühlt wieder sich mein Fuß;
„Grüß Gott!" ich komm' als Wandrer
Aus fernen Landen her,
Doch tönt so lieb kein andrer,
Kein Gruß der Welt wie der!
2. Italische Zunge grüßte
Melodisch mich und weich,
Der bärtige Sohn der Wüste
Sprach: „Friede sei mit euch!"
Ich hörte Palmen rauschen,
Ich sah den Lorbeer stehn:
Nun darf ich wieder lauschen
Der deutschen Linde Wehn.
3. „Grüß Gott!" mir hat's geklungen
So freundlich und so fromm,
Als wie von Engelzungen
Ein himmlischer Willkomm;
So wunderlieblich segnet
Den Wandersmann der Gruß,
Wie wenn's ihm Blüten regnet
Vom Baum auf Haupt und Fuß.
1) Abkürzung für Viktoria.