Das Hemd des Glücklichen. — Stöber: Der Solenhofer Knabe. 9
Sand findet sich da und dort in Nestern, eilten oder wenige Schuh
unter deut Rasen.
Ehe man aber anfing, biefen Sand in Glas zu verwattdeln, be¬
streutet! oder fegten schon die Hausfrauen in der Untgegend ihre Stuben¬
böden, Tische, Bänke, hölzernen Geschirre u. s. w. damit unb kauften
ihn von Weibern, die ihlt bei Solenhofen gruben und in kleinen
Säckchen zrtm Verkauf in die umliegenden Orte trugen.
In der ältesten Zeit befaßte sich eine Zeitlang nur eiu einziges
Weib mit diesem beschwerlichen Handel, bei dem es oft über fünfzig
Pfund auf dem Rücken aus- und nur ein paar Heller in der Tasche
dafür heimtrug. Es war eine Witwe im mittleren Alter; sie hatte
einen Knaben von zwölf Jahren, der im Sommer die Ziegen des
Ortes hütete und im Winter mit seiner Mutter in den unterirdischen
Felsklüften Sandnester aufsuchte und ausbeutete, wenn man vor Schnee
unb Eis in den Boden kommen konnte.
Einmal in einem besonders harten Winter wollte es den guten
Leuten gar nicht gelirrgen. Lange war der Boden bald so fest gefroren
und bald so hoch mit Schnee bedeckt, daß sie gar nicht zu ihrer unter¬
irdischen Nahrungsguelle gelangen konnten. Der kleine Vorrat von Saltd,
den sie sich im Herbst gegraben hatten, ging zu Ende und mit ihm das
Brot, das sie sich für die erlösten Pfennige aus den benachbarten Orten
mitzunehmen pflegten. An den Sommerseiten der Berge, wo die Februar¬
sonne die dünneren Schneeschichten weggeleckt hatte, singetl sie tlun alt
zu schürfen, aber überall vergebens unb ohne Erfolg. Ihre Werkzeuge
zerbrachen, unb sie hatten noch keilt weißes Saltdkorn gefundelt. Dazu
gillg das Futter für die Ziegen auf die Neige, unb in der Hütte warelt
lmn vier Geschöpfe, delien der Hunger aus den Augett sah. Das
eiltzige, was sie noch unter sich teilen konnten, war eine Kufe mit ein¬
gestampften Rüben und weißem Kohl, und auch diese stritten schon mit
der Verwesung, weil sie nur wenig gesalzen warelt. Die Geißelt er¬
hielten ihren Anteil roh, wie er aus der Kufe kam; die Portionen für
sich und ihretl Knaben kochte die Witwe und salzte sie oft mit ihrell
bitteren Kummertränen. Denil es war dantals ultter ihrem Dache wie
in der Hütte der Witwe von Zarpath, als sie bem Propheten antwortete:
„So wahr der Herr, dein Gott, lebet, ich habe nichts Gebackeltes, nur
eine Haitd voll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Kruge. Hub
siehe, ich habe Holz aufgesefen und gehe hinein unb will mir und
meiitem Sohne zurichten, daß mir essen mtd sterben."
2.
Der Knabe liebte seilte Mutter unb bewies seine Liebe am meisten
dadurch, daß er nie über seinen Hunger klagte, sondern geduldig von