Full text: Für die mittleren (beziehungsw. oberen) Klassen (Band 2, [Schülerband])

W. Oncken, Der alte Dessauer bei Kesselsdorf. 
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v. 
Zieten war klein von Statur, von zartem Gliederbau und etwas 
hager. Auf seinem nicht eben schönen Gesichte war sein derber Charakter 
in starken Zügen ausgeprägt. Sein feuriges Auge zeugte von Scharf¬ 
sinn, der Ernst in seinen Mienen gab ihm Würde. In Worten karg, 
wußte er doch zur rechten Zeit immer das Richtige zu sagen; auch stand 
ihm ein trefflicher Witz zu Gebote. Seine Lebensart war sehr einfach; 
alles, was nach Bequemlichkeit aussah, war ihm zuwider; erst in seinem 
vierundachtzigsten Lebensjahre war er dahin zu bringen, sich eines ge¬ 
polsterten Lehnstuhles zu bedienen. 
Als Anführer im Kriege darf Zieten den berühmtesten Feldherren 
an die Seite gestellt werden. Er mochte angreifen oder sich verteidigen, 
er wußte sofort das Richtige zu treffen. Gelehrte Pläne anzufertigen 
oder nach denselben zu verfahren, war nicht seine Sache. Zu jedem 
Wagestücke aber, das sich mit seiner Pflicht vertrug, war er stets bereit; 
Furcht kannte er nicht. 
Er besaß ein unerschütterliches Gottvertrauen und war ein echter 
Christ in Wort und Tat; alle Prüfungen des Lebens trug er mit 
christlicher Demut. „Gott hat mir alles gewährt, um was ich ihn ge¬ 
beten!" hörte man ihn oft sagen. Auf irdische Güter legte er geringen 
Wert und gab oft mehr aus, als er einnahm. Nicht bloß in Preußen, 
auch im Auslande fand Zieten viele Bewunderer und Verehrer. Die 
Kaiserin von Rußland und die Königin von Schweden wünschten sein 
Bildnis zu haben; in England, Rußland, Frankfurt am Main wurden 
Medaillen auf seinen Tod geprägt. Sein Bild prangte auf Pfeifen¬ 
köpfen und Dosen und hing in jeder Hütte des Preußenlandes. 
54. Der alte Dessauer bei Kesselsdorf. 
Nach W. Oncken, Das Zeitalter Friedrichs des Großen. 
An der Stelle, wo die beiden aus Wilsdruff und Freiberg 
nach Dresden führenden Straßen sich vereinigen, liegt Kesselsdorf, 
weiter nordöstlich das Dorf Pennerich. Hier war die Hauptmasse der 
Sachsen aufgestellt, nördlich von ihnen standen die österreichischen Hilfs¬ 
truppen. Das hochgelegene Kesselsdorf, dessen Umgegend durch zahl¬ 
reiche Geschütze gedeckt war, bildete den Schlüssel der ganzen Auf¬ 
stellung. Um diesen Ort entspann sich der erste blutige Kampf des 
15. Dezembers 1745. 
Der greise Fürst Leopold von Anhalt hatte in den letzten Tagen 
wegen der Langsamkeit seines Vormarsches von dem jugendlich feurigen 
König Friedrich ungnädige Befehle und verletzende Äußerungen zu lesen 
bekommen, sodaß er entschlossen war, entweder durch einen glänzenden
	        
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