Full text: [Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband]] (Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband])

Gerok. Simrock Uhland. 
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3. Der Bischof kam und sah den Bau. 
Da schüttelt er der Locken Grau 
Und staunt und spricht: 
„Die Burg hat Wall und Mauern 
nicht.“ 
4. Der Graf versetzt: „Was macht 
das aus? 
In Straßburg steht ein Gotteshaus; 
Das bautest du, 
Doch Wall und Mauern nicht dazu.“ 
5. „Das Münster baut' ich Gott 
dem Herrn, 
Dem bleiben die Zerstörer fern; 
Vor Feindessturm 
Beschützt ein Schloß nur Wall und 
Turm — 
8. Frohlockend stößt ins Horn der 
Graf 
Und weckt den Bischof aus dem 
Schlaf: 
„Die Mauern stehn; 
Wer hat so schnellen Bau gesehn?“ 
9. Das Wunder dünkt den Bischof 
fremd, 
Zum Erker springt er hin im Hemd 
Und sieht gereiht 
Der Helden viel im Eisenkleid. 
10. Mit blankem Schilde, Mann an 
Mann, 
Steht mauergleich des Grafen Bann, 
Und hoch zu Roß 
Hebt mancher Turm sich aus dem 
Troß. 
6. „Wohl hast du recht, ich räum' 
es ein, 
Ja, Wall und Mauern müssen sein; 
Gieb morgen acht! 
Ich baue sie in einer Nacht.“ 
11. Da spricht der Bischof: „Sicherlich, 
An solche Mauern halte dich! 
Nichts ist so fest 
Als Treue, die nicht von dir läßt. 
7. Und Boten schickt der Graf ins 
Thal; 
Die Mannen nahn im Morgenstrahl, 
Und scharenweis' 
Umstellen sie die Burg im Kreis. 
12. So schütze Habsburg fort und 
fort 
Lebend'ger Mauer starker Hort, 
Und herrlich schaun 
Wird's über alle deutschen Gaun!“ 
106. Graf Richard ahne Furcht. (Um 1020 n. Chr.) 
Von Ludwig Uhland. Gedichte. Stuttgart und Tübingen, 1853. 
Graf Richard von der Normandie 
Erschrak in seinem Leben nie. 
Er schweifte Nacht wie Tag umher, 
Manchem Gespenst begegnet' er; 
Doch hat ihm nie was Graun gemacht 
Bei Tage noch um Mitternacht. 
Weil er so viel bei Nacht thät reiten, 
So ging die Sage bei den Leuten, 
Er säh' in tiefer Nacht so licht 
Als mancher wohl am Tage nicht.“ 
Er pflegte, wenn er schweift' im Land, 
So oft er wo ein Münster fand, 
Wenn's offen war, hineinzutreten, 
Wo nicht, doch außerhalb zu beten. 
So traf er in der Nacht einmal 
Ein Münster an im öden Thal; 
Da ging er fern von seinen Leuten, 
Nachdenklich, ließ sie fürbaß reiten. 
Sein Pferd er an die Pforte band, 
Im Innern einen Leichnam fand.
	        
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