Strassen und Verkehr zur Zeit unserer Grossväter.
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O. Verkehr und Verkehrsmittel.
L. Strasssen und Verkehr zur Zeit unserer Grossväter.
L. Wenn wir heute von „Verkehr“ reden, denken wir zunächst
gar nicht an Landstrassen, Feldwege und Fusssteige, sondern an
Dampferlinien und Eisenbahnen mit ihren ungeheuren Personen-
und Güterzüugen. Der grosse Verkehr hat den kleinen verschlungen
und sieh selber seit Jahrzehnten wieder wunderbar ins Rleine
verzweigt.
Welch ein Wechsel, der seit dem Ende des achtzehnten Jahr-
hunderts in dem Strasfsenbau eingetreten! Wie ward es ange—
staunt, als Napoleon seine riesigen Bauten geradlinig von Stadt
zu Stadt über Berge und Flüsse zu führen begann, um die er-
oberten Lande mit dem Mittelpunkte seines Reiches zu verbinden!
Welch ein Anblick, als lange Pappelreihen, in Reihen aufmar-
schiert, die Wege begleiteéten und an Stelle der alten Linden
traten! Alles folgte dem gegebenen Beispieèle; der begüterte Adel
gab seinem Rittersitze einen neuen Schmuck, seiner herrschaft-
lichen Würde ein neues Sinnbild und schützte seine Alleen als
ein adeliges VWahrzeichen mit Nachdruck. doll doch der Markgraf
FPriedrich Wilhelm von Schwedt, dessen ausgedehnte zahlreiche
Anlagen einen Ruf gewannen, jeden Schulzen, in dessen Bezirk
ein Baum zerstört worden oder auch nur ausgegangen war, eigen-
händig mit dem Stoek gezüchtigt haben! delbst die grosßs—
artigen Alleen bei dem Bayreuther Schlols und bei RKloster
Himmelkron wurden niedergeschlagen, und statt der altfränki-
schen Linden und Rastanien pflegte man Pappel neben Pappel
und zerstörte dem neuen Geschmack zuliebe Hunderte von Land-
schaftsbildern. Alles schien sich zu ändern, als von Mitteldeutsch-
land her, wo die kleinen Fürsten sich in der Einführung des neuen
Kunststrassensystems hervorthaten, nach und nach die Steinwege
über Deutschland legten. Man pries es als eine Errungenschaft
ohnegleichen, als sich in Sachsen, Kurtrier und anderen Ländern
an diesen Meilensteine erhboben; man machte Gedichte darüber
und rühbmte vor allem die daran angebrachten Bänke, woran sich
nieht nur vernünftige, sondern auch empfindsame Reisende er-
freuen könnten. Nur die Frachtfuhrleute von altem Schrot und
Korn gaben ihren Irger laut kund, weil nunmehr die Feinheiten
des Gewerbes, die echten Lehr- und Meistergeheimnisse überflüssig
geworden seien; auf einer ebenen Chaussee könne jeder Schneider
Wohlrabe, Lesebuch.
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