Full text: Für Klasse 2 (neuntes Schuljahr) und die Obertertia der Studienanstalten (Teil 8, [Schülerband])

I. Erzählungen. 
1. Der Stadtpfeifer. 
Wilhelm Heinrich Riehl. / , 
1. 
Das war eine angstvolle Hochzeit! — Als der Weilburger Stadt¬ 
pfeifer Kullmann mit seiner Braut vor den Altar trat, dröhnten dumpfe 
Kanonenschläge aus der Ferne herüber. Die Gemeinde war ohnehin 
diesmal klein beisammen, und wie nun gar die unheimlichen Töne den 
Leuten durch Mark und Bein schüttelten, schlich einer nach dem andern 
sacht davon, und da der Pfarrer aus der Sakristei schritt, stand nur 
noch das Brautpaar mit den nächsten Angehörigen, dem Küster und 
einigen Hochzeitgästen in dem Chor der Dorfkirche. 
Der Siebenjährige Krieg hatte seine Verwüstung auch in die west¬ 
lichen Gaue Deutschlands getragen; die Franzosen unter dem Herzoge 
von Broglie hielten das Lahntal und den Westerwald besetzt und 
suchten durch Niederhessen nach Hannover vorzudringen. Sie setzten 
eben dem Bergschloß Dillenburg heftig zu, und die wechselweise Heraus¬ 
forderung und Antwort der Geschütze war es, was in den Wölbungen 
der Kirche des benachbarten Ebersbach dem Hochzeitzug so schaurig 
in die Ohren klang. 
Den Stadtpfeifer überlief es kalt; er zitterte nicht, er war auch 
nicht mutlos, aber er hörte auch nicht die Worte des Pfarrers. So 
schneidend war es ihm noch nicht in die Seele eingegangen, welch große 
Verantwortung er auf sich nehme durch die Verheiratung in so un¬ 
gewissen Tagen, wie jetzt, wo die Kanonen ihm zum Altare läuteten. 
Die Braut an seiner Seite hatte nicht geweint; die roten Wangen des 
Neuland. VIII. 3. Aufl. 
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